Kapitel 1.4

Lisa Kuhl

von Lisa Kuhl

Story

Ihre Mutter zögerte kurz, als ob sie mehr sagen wollte, dann hörte sie Lena die Tür hinter sich ins Schloss ziehen. Ein weiteres kleines Zeichen, dass die Distanz zwischen ihnen wuchs, wie in den letzten Wochen und Monaten. Ein Abstand, den sie beide spürten, aber keiner von ihnen wusste, wie er ihn überwinden sollte.

Lena setzte sich wieder auf ihr Bett und starrte auf den Boden. Ihre Gedanken waren ein Chaos, ein einziges Durcheinander aus Verzweiflung, Einsamkeit und der schrecklichen Frage, wie es so weit kommen konnte. Sie wollte nicht mit ihrer Mutter sprechen, wollte nicht darüber reden, was in ihr vorging. Sie fühlte sich so leer, so ausgebrannt, als ob jedes Wort, das sie sagen würde, nur noch mehr Lügen wären. „Es ist alles gut“, dachte sie bitter, „aber das ist es nicht.“

Das Klirren aus der Küche hörte sich jetzt noch ferner an. Lena wusste, dass sie jetzt nach unten gehen musste, dass sie sich wieder in die Rolle der Tochter fügen sollte, die sie nie wirklich mochte. Aber was blieb ihr anderes übrig? Sie musste funktionieren, sie musste tun, was von ihr erwartet wurde – selbst wenn es sie in Stücke riss.

Schließlich stand sie auf und zog sich einen dicken Pullover über, der sie irgendwie ein wenig einhüllte, als könnte er sie vor der Welt draußen schützen. Ein tiefes Einatmen, dann trat sie aus ihrem Zimmer und ging die Treppe hinunter. Die vertrauten Gerüche der Küche stiegen ihr in die Nase, aber selbst das beruhigte sie nicht. Es war alles so gewöhnlich, so normal, während sie sich selbst immer mehr fremd vorkam.

Ihre Mutter stand am Tisch und richtete das Essen an, ein leicht besorgter Blick in ihren Augen. „Setz dich, Lena. Du hast doch sicher Hunger, oder?“ Lena nickte, aber ihre Hände fühlten sich schwer an, als sie sich an den Tisch setzte. Der erste Bissen, den sie nahm, schmeckte wie nichts. Ihre Zunge schien sich gegen den Geschmack zu wehren, als ob sie ihn einfach nicht annehmen wollte. Alles, was sie tat, war ein Automatismus. Sie kaute, schluckte, und hoffte, dass es bald vorbei wäre.

Ihre Mutter beobachtete sie aus dem Augenwinkel. „Lena, ist alles wirklich okay? Du hast in letzter Zeit so wenig Appetit, du schläfst oft so lange…“ Lena spürte die Frage wie ein Druck auf ihrer Brust. Sie wollte ihr nichts sagen, wollte die Wahrheit nicht aussprechen. Was sollte sie auch sagen? Dass sie sich selbst nicht mehr ertrug? Dass sie das Gefühl hatte, in einem Körper gefangen zu sein, der ihr nicht gehörte? Dass sie sich so leer fühlte, als ob nichts wirklich einen Sinn hatte?

„Es geht schon“, murmelte sie schließlich und zwang sich, ihre Mutter anzusehen. Ihr Blick war unauffällig, ruhig, aber in ihren Augen lag die Traurigkeit einer ungesagten Wahrheit. „Du weißt, dass du mit mir reden kannst, oder?“, sagte ihre Mutter leise, als sie den Blick auf den Teller senkte, als wollte sie verhindern, dass der Moment zu viel von ihr verlangte. Lena nickte, aber in ihrem Inneren wusste sie, dass sie sich nicht öffnen konnte. Sie konnte es nicht. Nicht heute. Nicht in diesem Moment, in dem sich die Leere um sie immer mehr ausbreitete. Und so aß sie weiter, in der Hoffnung, dass der Moment bald vorbeiging.

© Lisa Kuhl 2025-04-01

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Traurig
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