von Lisa Koscielniak
In der Bibliothek war es stockfinster. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in mir aus und wurde immer stärker, als ich vorsichtig den Gang entlangschritt. Am Ende angekommen, lugte ich vorsichtig um die Ecke. Das Feuer im Kamin war erloschen. Nur vereinzelt glommen noch ein paar Holzscheite. Die Vitrine, die wir in der Mitte platziert hatten, war noch heile und die Bücher lagen alle noch darin. Bislang wurden sie also noch nicht gestohlen. Plötzlich ertönten Geräusche von unten.
Jemand machte Anstalten, die Treppe zum ersten Stock zu betreten. Schnell huschte ich zur Vitrine, hob den Deckel etwas an und verteilte das Benediktenkraut auf den Büchern. Das sollte den Dieb daran hindern, die Bücher einfach so herauszunehmen, und uns etwas Zeit verschaffen. Vorsichtig schloss ich den Deckel wieder und zog mich in den Schatten der Regale zurück. Die Treppenstufen knarrten, doch das war nicht alles. Da war noch ein anderes Geräusch. Eine Art Schleifen.
Am heutigen Abend war es bewölkt, wodurch das Licht des Mondes nur sporadisch den Raum erhellte. Es reichte jedoch aus, um zu erkennen, dass eine große Gestalt den ersten Stock betrat und etwas mit sich schleppte. Ich verengte meine Augen. Was war das? In diesem Moment warf die Gestalt das, was sie mit sich geschliffenhatte, neben die Vitrine, in die Mitte des Raums. Dort war etwas mehr Licht und ich konnte endlich sehen, was oder eher wer es war. Mein Herz setzte für einen Moment aus. Yin.
Er war kaum bei Bewusstsein und mit Blut bedeckt. Die Gestalt betrat nun ebenfalls vollends den Raum. Das war schon mal kein Geist. Er musste einer der hochklassigen Dämonen sein. Während Yin und Stew jedoch beide sehr menschlich aussahen, sah dieses Exemplar kein bisschen menschlich aus. Seine Haut war dunkelrot und ein abgebrochenes Horn ragte seitlich aus seinem Schädel. Er war sehr muskulös und knurrte jedes Mal leise, wenn er ausatmete. Hilflos blickte ich zwischen dem Dämon und Yin hin und her. Was sollte ich jetzt nur machen?
Siegessicher näherte sich der Dämon der Vitrine und riss den Deckel ab. Yin versuchte sich aufzurichten, schaffte es jedoch nicht. Mit einem breiten Grinsen griff der Dämon in die Vitrine, zog dann jedoch mit einem schmerzhaften Aufschrei seine Hand wieder heraus. Sie war von Brandblasen übersäht. Ich wusste ja nicht, dass dieses Benediktenkraut so effektiv war. „Was soll das?“, zischte er wütend. Dann hielt er mit einem Mal inne und reckte seine Nase in die Luft. „Wer ist da?“, rief er donnernd.
Zu meinem Glück begann er, in einem der anderen Gänge zu suchen. Er konnte meinen Aufenthaltsort also nicht genau feststellen. Gut für mich. Ich lugte aus meinem Versteck und eilte dann, als er weit genug entfernt war, zu Yin. Sein Körper war von tiefen Schnitten übersäht. Er verlor viel zu viel Blut. Wenn das so weiterging, würde er noch sterben. Ich musste etwas unternehmen.
© Lisa Koscielniak 2022-05-03