Kapitel 15

Nabi Wenke

von Nabi Wenke

Story

21

In den folgenden Stunden komme ich mit meinen Gefühlen kaum noch hinterher. Ich bin fast jede freie Sekunde bei Sunita und Ty am Krankenbett und versuche für sie da zu sein. Ich weine mit ihnen, wenn sie begreifen, was passiert ist und schweige mit ihnen, wenn uns die Worte darüber fehlen. Sunita hat kein bisschen ihrer Energie verloren. Sie strahlt Stärke aus, als sie mit Tränen in den Augen sagt: „Honey, they tried to knock me down, but they wish… they wish. Nichts auf dieser Welt wird mich davon abhalten zu LIEBEN, wen ich will und zu SEIN, wer ich bin.“ Mein Herz zieht sich zusammen und ich blinzel meine Tränen weg, weil mich ihre Worte so tief in der Seele treffen.

Am nächsten Tag schreibt Maure mir eine Nachricht: Hey, ich war ein Arschloch. Können wir reden? Habe das mit Sunita und Ty mitbekommen, hoffe ihnen geht es einigermaßen gut. Scheiß Welt.

Ich antworte: Danke. Heute um 16 Uhr beim Baumhaus?

Um 16 Uhr sitzen wir auf der Plattform des bunten kleinen Baumhauses.

„Es tut mir leid, dass ich ein Arschloch war. Ich musste natürlich erstmal das gesamte Internet durchforsten, um zu verstehen, was du mit Privilegien meinst. Und natürlich bin ich als weißer Mann vom System begünstigt. Und ich weiß, dass ich niemals auf der Straße zusammen geschlagen werden würde, weil ich weiß und hetero bin.“ Er sieht mich ernst an, „Ich möchte gerne an mir arbeiten und ich möchte mich dazu lernen“ Er atmet aus. „Es ist nur manchmal so schwierig, weil ich das Gefühl habe, als weißer Mann, bin ich dafür verantwortlich, dass es diese Scheiße gibt“ Er schaut auf seine Hände.

„Hör mal Maure, du kannst genauso wenig was dafür, woher du kommst und wie du aussiehst, wie ich. Und dass du dich mit dir auseinandersetzt, ist doch das, was zählt“, lächele ich. „Klar, es gibt einfach den Fakt, dass du als weißer Mann niemals diese strukturelle Diskriminierung erfahren wirst, die ich erfahre, aber das heißt natürlich nicht, dass dein Leben immer einfach war. Du kannst es trotzdem schwer haben.“ Ich denke kurz nach, „Und außerdem, ist doch dein Anspruch nicht so zu sein, wie die weißen Männer, die dieses patriarchale und rassistische System aufgebaut haben. Und genau das unterscheidet dich von ihnen.“ Maure nickt.

„Danke. Und ich weiß, es war einfach kacke von mir, dass ich dich nicht in der Nina Situation unterstützt habe. Tut mir leid. Ich wollte endlich mal eine Freundin haben, die mich umhaut. Aber ich glaube, ich habe das Nina auferlegt. Ich weiß eigentlich gar nicht, wer sie ist“, schließt er und knibbelt an seinem Fingernagel herum.

Ich nehme ihn in den Arm. „Ach Maure, mach dir doch nicht so ein Druck! Hör einfach auf dein Bauchgefühl“ Maure nickt und legt seinen Kopf auf meine Schulter. „Erzähl mir bitte jetzt, wie es Sunita und Ty geht und ob diese Dreckskerle gefasst wurden“, und ich beginne zu erzählen. Und während ich mich über die Welt auskotze und meine Verzweiflung teile, weiß ich, dass egal, was noch auf mich zukommt, Maure immer an meiner Seite sein wird.

© Nabi Wenke 2022-08-31

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