In ihren großen dunklen mandelförmigen Augen spiegelte sich reine Todesangst wider und doch flammte ein Funken Hoffnung in ihnen auf. Meine Stimme klang optimistischer, als ich mich fühlte: “Everything will be alright again. Don’t worry! We will find a way out of this nightmare!” Sie klammerte sich wie ein Kätzchen an mein schweißnasses Hemd und ich hatte weder einen Plan noch die Zeit dafür, mir einen zu überlegen. Ich bin kein gläubiger Mensch, aber an diesem schaurigen Ort schickte ich ein Stoßgebet gen Himmel bzw. zur Betondecke, dass wir alle heil wieder herauskamen. In meinem Kopf schwirrten die Gedanken wie wuselnde Ameisen auf einem Haufen. Mir fiel partout nichts ein, was mich noch rasender machte. Help (ihr Name rührte von unserer ersten Begegnung her) zog mein Handy aus meiner hinteren Hosentasche und zeigte wild gestikulierend auf das Display. Na klar doch! Der Euronotruf müsste auch ohne Empfang funktionieren. Ich umarmte sie euphorisch und hämmerte 112 in die Tasten. Während ich darauf wartete, dass am anderen Ende der Leitung irgendjemand meinen Anruf entgegennahm, drehte ich mich hastig nach allen Seiten um und riss Help mit mir mit. Es war ein aussichtsloses Unterfangen, die Menge zu beruhigen, damit ihre Peiniger nicht auf uns aufmerksam wurden. In Büchern habe ich oft gelesen, dass sich Sekunden wie Stunden anfühlen können, aber es immer als Humbug abgetan. Nun verstehe ich es. “Notrufzentrale. Wie kann ich Ihnen helfen?” Meine Worte sprudelten nur so aus mir heraus: “Kommen Sie ganz schnell in den Club Paradise. Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt. Wir brauchen dringend Hilfe!“ “Bitte beruhigen Sie sich! Was ist passiert und wo genau liegt Ihr Standort? Gibt es Verletzte?” Fahrig strich ich mir eine Strähne aus meinem Gesicht. “Sie können jeden Moment die Tür eintreten! Holen Sie das gesamte Einsatzteam her! Das ist kein Fake-Anruf! Beeilen Sie sich!” Plötzlich entriss Help mir das Handy und stieß einen ohrenbetäubenden Laut aus. Entgeistert und bewundernd zugleich sah ich zu ihr auf und sie erwiderte meinen Blick entschlossen und ohne Furcht: “Wir schaffen!” Ich nickte überschwänglich. An die nächsten Stunden kann ich mich kaum noch erinnern. Polizisten und Ärzte stellten mir Fragen und untersuchten mich. Ich wollte einfach nur Julia in die Arme schließen und losheulen. Die Befragungen zogen sich in die Länge, bis man mir am Ende eröffnete, dass die Clubbesitzer auf freiem Fuß sind und ich als wichtiger Zeuge ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werde. Ich sollte nur die notwendigsten Sachen zusammenpacken und zur Polizeistation kommen. Dort folgen nähere Anweisungen. Ich kam mir vor, wie in einem schlechten Film. Warum musste ich denn auch unbedingt diese verdammte Tür öffnen? Seit nunmehr 29 Jahren verschleiere ich meine wahre Identität, weil die Polizei nicht fähig ist, die Flüchtigen einzusperren. Das sollte sich heute ändern. “Hallo, Alex. Ich habe gute Neuigkeiten für dich!”
© Christina Farthofer 2021-08-14