Kapitel 2: Das Wiedersehen

Derya Sevindik

von Derya Sevindik

Story
Istanbul

Akgün

Wie festgefroren stand ich mitten im Wohnzimmer. All die Erlebnisse in dieser kleinen Wohnung kreisten wie eine plötzliche Sturmflut um mich herum. Ein Tornado aus Erinnerungen. Alle Gegenstände, Fotos und Geschenke dieser Beziehung wurden eingesaugt. Nur ich stand fest auf meinen Beinen und wurde nicht mitgerissen. Ich musste plötzlich lachen, so doll, dass sich eine einzelne Träne den Weg über meine Wange wagte. Die Wohnung erschien mir an diesem Tag äußerst fremd. Ich fragte mich, ob ich hier wirklich gelebt hatte. Ein kurzer Text von heute Morgen brachte mich erneut in diese Ecke der Stadt: „Ich bin heute Vormittag nicht zu Hause, du kannst den Rest deiner Sachen abholen.“ So einfach und klar. In einem Satz, der in wenigen Sekunden geschrieben worden war. Ein Mensch, der einst wie diese Wohnung so vertraut gewesen war und sich den verschlossenen Weg zu meinem Herzen wagte, ihn in Besitz nahm, war nun nicht mehr oder weniger als eine zufällige Person auf der Straße. Efsun, die zweite Liebe in meinem Leben. Die zweite Person, die mein Herz nahm, nur um es mir wiederzugeben. In meiner Hand eine Box aus wenigen Bildern, kleinen Geschenken und einem Teil von mir verließ ich sie.

Beim Hinausgehen strich mir die Herbstbrise sanft ins Gesicht, als wollte sie mich trösten. Die kalte Luft, die mich begrüßte, schenkte mir eine warme Umarmung. Ein Versprechen für einen Neuanfang. Noch etwas durcheinander ging ich mit schnellen Schritten durch den Bahnhof, ich stieß gegen eine Person, und die Box glitt durch meine, wegen der Kälte fast erfrorenen Finger. Während ich noch perplex auf die heruntergefallene Box schaute, hatte sie sich schon gebückt und sammelte die Sachen ein. Dabei schaute sie etwas länger auf das Bild mit mir und Efsun. Das war an meinem Geburtstag, mein erster mit ihr. Ich riss ihr etwas zu harsch das Bild aus der Hand. Unsere Blicke trafen sich. Eine Erinnerung war vergraben, doch eine andere erschien plötzlich wieder aus der tiefen Höhle. Sie stand ganz plötzlich auf und war schon weg, bevor ich die heruntergefallenen Sachen einsammeln konnte. Ich rief ihr hinterher, aber sie drehte sich nicht um. Ich erwischte sie, stellte mich vor sie. Hatte sie mich nicht erkannt? Es waren so viele Jahre vergangen, aber sie sah immer noch so aus wie damals. Ich schaute sie genauer an. Eine verborgene Sehnsucht bahnte sich an, und eine längst vergessene Wärme hüllte mein Herz wieder ein. Ich hatte so viele Fragen: „Ich war auf deinem Konzert, konnte dich aber nicht erreichen. Bist du zurückgezogen? Wie lange ist es her, dass wir uns sahen?“, aufgeregt stellte ich eine Frage nach der anderen, ohne zu bemerken, dass sie wieder versuchte, an mir vorbeizugehen. Wollte sie nicht mit mir reden? Oder hatte sie mich wirklich vergessen? Erneut stellte ich mich vor sie. Sie sah mich nicht an, nervös schaute sie hin und her. Ich berührte leicht ihre Schulter, damit sie mich ansah, und schaute in ihre feuchten Augen. Ihr Blick drang in meine, wie ein stummer Schrei von Hilflosigkeit. Wolltest du mir so sehr aus dem Weg gehen? Plötzlich bewegte sie hektisch ihre Hände. Immer wieder machte sie die gleichen Bewegungen. Ihre feuchten Augen tränten jetzt. Ich sagte sanft ihren Namen: „Mavi.“ Mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung versuchte sie, mit mir zu sprechen. Leise murmelte ich: „Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich verstehe dich nicht.“

© Derya Sevindik 2023-11-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Inspirierend, Inspiring
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