Kapitel 2 – unterdrückte Art

Jule Schwarz

von Jule Schwarz

Story
Rostock 2021

Dreizehn Jahre alt.

In der Toilette eingeschlossen heulte ich. Irgendwann nach fünf oder auch zwanzig Minuten hörte ich eine vertraute Stimme, es war Frau Wick. Sie ist meine Lieblingslehrerin. „Enya mach bitte die Tür auf und sprich mit mir.“ Ich schniefte und schniefte. Ich kann das nicht. Nach zwei weiteren Minuten hörte ich mich nicht mehr schniefen. Als hätte mich nur die Anwesenheit dieser Frau mich beruhigt. Schließlich klickte das Schloss, die Tür öffnete sich. Frau Wicke lehnte geduldig an der Marmorwand, hinter sich. Sie sah mich wehmütig an, als spürte sie dasselbe wie ich in diesem Moment. „Was ist los?“ diese Frage hallte im Klo nach. „Noel, er hat mich wieder geärgert, er hat mich Schlampe genannt.“ Frau Wick kam auf mich zu und blieb kurz vor mir stehen, sie breitete die Arme aus und zog mich in eine erholsame Umarmung. Noel schaffte es immer wieder mich zum Weinen zu bringen, als wäre dass seine Lebensaufgabe. Manchmal raste ich aus, und dann schlag’ ich ihn. Ja Gewalt ist keine Lösung, aber irgendwann ist eine Grenze erreicht, und dann brennt bei mir die Sicherung durch. Wenn ich ihn schlage, schlägt er natürlich auch zurück, da schreiten die Lehrer dann ein, aber wenn ich verheult zu ihnen gehe und sage, dass er mich ärgert, kommt dann sowas wie „Ach, du bist alt genug, regel dass Mal alleine.“ Und solche Leute sollen Sozialpädagogen sein, ich denke auch.

Das war nicht das letzte Mal das Noel mich mobbte, immer und immer wieder kam er auf mich zu und schmiss mir irgendetwas an der Kopf. Ob es meine Schuhe oder meine Haare waren, er fand immer irgendwas, was er heruntermachen konnte. Er nannte mich Vogelscheuche, weil meine Haare strohblond und ein wenig zerzaust waren. Das Blöde an dem Ganzen war, ich konnte mich aber auch nicht von ihm fernhalten. Meine beste Freundin Nicky war auch mit ihm befreundet. Nicky und ich sind, seid der ersten Klasse beste Freunde. Unsere Freundesgruppe bestand damals aus Nicky, Noel, Fritz seinem besten Freund, Analena, und Marlen. Wir hingen in der Pause immer bei den zwei einzigen Bänken auf dem Schulhof ab. Irgendwie waren Noel und ich Freunde und irgendwie auch nicht. Wir waren uns auch eigentlich relativ ähnlich. Wir sind beide extrovertiert, zeichnen beide gerne und ab und zu reiten wir beide Mal bei einer Bekannten von uns beiden. Er wohnt nämlich leider im gleichen Dorf wie mein Vater. Meine Mutter wohnt in Rostock, hier gehe ich auch zur Schule.

Wir alle treffen uns ab und zu bei Nicky zu Hause, und da treffe ich dann auch auf Noel. Immer wieder eine Herausforderung. Einmal, letzten Sommer, waren wir mal am See. Noel machte mal wieder einen dummen Spruch, kurz darauf flog er rückwärts in das Gewässer. Ich hatte die Gelegenheit genutzt, er hatte mit dem Rücken zum Wasser gestanden und ich habe ihn dann einfach rein geschubst, und dabei seinen gar nichts so hässlichen Oberkörper berührt. Er sieht schon gut aus, das muss man ihm lassen. Tja und wie es das Karma so wollte folgte auch ich kurz darauf. Noel war die Leiter hinter mir hochgeklettert, und mich ebenfalls rein geschubst.



© Jule Schwarz 2024-07-21

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel, Traurig
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