Kapitel 3

Claudia Schneider

von Claudia Schneider

Story

Gleich am nächsten Tag wurde ich mit „Guten Morgen Klokind. Warst du heute schon auf Toilette?“ begrüßt. Ich wäre am liebsten umgedreht und hinaus gerannt. Was hatte ich der Welt denn nur getan? Warum konnten sie mich denn nicht einfach ignorieren? Warum kann ich mich nicht unsichtbar machen? Schnell wurde aus „Klokind“ einfach nur „Klo“. So war also mein neuer Name. Ich war nicht mehr Magdalena, sondern „Klo.“ Man hatte mich ohne, dass ich etwas dagegen hätte tun können, umbenannt, einfach so, als wäre ich ein anderer Mensch und als hätte ich mein Recht verwirkt Magdalena genannt zu werden. Ich verstand die Welt nicht mehr. Erschwerend kam hinzu, dass ich verbal nicht zurückschlagen konnte. Mir fehlte die Fähigkeit schlagfertig zu sein. Mir fiel in den entscheidenden Momenten einfach nichts Passendes ein, um den grinsenden Gesichtern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ich sah sie nur an und wusste nicht, was ich tun sollte. Das befeuerte sie nur noch mehr. Ich wusste nicht, wie grausam Menschen und auch Jugendliche untereinander sein können und ich wusste nicht, welche Auswirkungen diese neue Entwicklung haben würde. Aus dem neuen Namen wurde bald bitterer Ernst und die Abneigung gegen mich, die man mit diesem Namen zu implizieren versuchte, wirkte sich auf alle anderen Bereiche aus. Es war Sportstunde. In der Umkleide bemerkte ich, wie die Mädchen mich ansahen, tuschelten und kicherten. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken. Ich war neben einem anderen, auch sehr zurückhaltendem Mädchen, die beste im Sport und übertraf nicht wenige der Jungen. Sport hatte mir die letzten anderthalb Jahre, die ich nun schon in der Mittelstufe war, immer sehr viel Spaß bereitet und da in der Schule alles auf Erfolg getrimmt war, sah ich keinen Grund, warum ich ausgerechnet im Sportunterricht Probleme bekommen sollte. Die Sporthalle verlieh mir ein Stück Freiheit. Zweifelderball stand auf dem Plan, mein Lieblingsspiel. Die Gruppen wurden durch zwei Vertreter aus der Klasse gewählt. Diesmal saß ich auffällig lange auf der Bank, zu Guter Letzt waren nur noch drei Mädels mit vorgetäuschten Schmerzen, das korpulente Mädchen aus der Parallelklasse, der Querschläger aus meiner Klasse, der seit einer Woche nicht am Sport teilnehmen durfte, weil er einen Schulverweis bekommen hatte und ich auf der Bank. „Naja, dann nehme ich halt noch Klo.“ Ich reagierte nicht. „Klo, komm her du bist in unserer Gruppe, ansonsten nehme ich wen anderen.“ Wenn ich jetzt aufstehe, bin ich dann für immer „Klo“? Ich heiße doch Magdalena. Warum ruft man mich „Klo“? Doch nicht etwa, weil ich im Unterricht auf Toilette war? „Orr Klo! Komm jetzt her, wir wollen anfangen.“ Automatisch stand ich auf. Die anderen wollten anfangen, ich möchte nicht der Grund für die Verzögerung sein und damit noch mehr Schikane riskieren. Während ich aufstehe gucken mich die anderen an. Ich fühle mich unsicher und entblößt, als würde ich nackt vor ihnen stehen. Als hätte man meine Maske heruntergerissen und alle könnten mein wirkliches Ich sehen. Doch so ist es nicht. Es ist genau andersherum. Sie haben mich eingeengt und so lange angeschaut bis ich mir eine Maske aufsetzten musste, um ihren durchdringenden Blicken zu entgehen.

© Claudia Schneider 2025-07-09

Genres
Romane & Erzählungen