von Dominik Beneder
„Ich hatte mir immer einen Hund gewünscht. Seit wir im Kindergarten einen Film mit kleinen Golden Retrievern gesehen haben. Mehrfach habe ich gebettelt. Doch mein Wunsch blieb unerfüllt. Wer den Hund denn füttern würde, hat Mama gefragt. Wer mit ihm zum Tierarzt gehe, falls etwas wäre. Wer für alles zahlen würde. Und außerdem, irgendwann wäre das kein Baby mehr. Und was dann? Nein, war die Entscheidung, es gab keinen Hund.
Nun, bis es dann doch einen gab. Schwarz-weiß war das Fell. Lauter Flecken am ganzen Körper. Der Kopf war ganz schwarz. Bis auf einen Punkt beim rechten Auge. Der war weiß. Deshalb nannten wir den Welpen Pünktchen. Und wir liebten ihn abgöttisch. Nicht nur wir beide. Auch Papa. Und das, obwohl er ‘keinen Hund wollte’. Dafür hat er sich sehr viel um Pünktchen gekümmert. Schon früh im Welpenalter bekam Pünktchen Joghurt und Heidelbeeren zu essen. Papa hatte sich eingebildet, dass die zwei Sachen zur Hundeernährung gehörten. So bekam Pünktchen mehrmals in der Woche Heidelbeeren. Und du wolltest unbedingt auch welche haben. Weil Pünktchen welche bekam. Pünktchen und du bildeten sogar ein kleines Räuberteam. Immer wieder, wenn ihr euch in Sicherheit geglaubt habt, hast du die Heidelbeeren geklaut. Zusammen habt ihr sie dann am Boden in der Küche genascht. Und du hast sie geliebt. Das hat man gehört – bis in den oberen Stock habe ich euer Geschmatze gehört. Und auch gesehen hat man es. Dein halbes Gesicht war lila, nachdem du Heidelbeeren gegessen hast. Deine Hände schmutzig. Deine Kleidung verdreckt.
Doch nicht nur deine Kleidung war in Gefahr. Pünktchen kaute von Anfang an auf Sachen herum. Am liebsten hatte der Hund Schuhe. Ich weiß noch – als Pünktchen einen meiner ganz neuen Sneaker klaute. Du hast ihm da mit den Heidelbeeren etwas ganz Witziges gezeigt. Aber so nervig und anstrengend es war, so lustig fanden wir es. Du fandest es immer so toll, dem Hund hinterherzurennen. Die ganze Familie war hinter Pünktchen her. An dem einen Tag hatte Pünktchen einen Haken geschlagen und war an Papa vorbeigekommen. Durch die offene Terrassentür in den Garten. Wir sind alle hinterher. Bei strömendem Regen sind wir Pünktchen hinterhergelaufen, um den Schuh wiederzubekommen. Papa ist sogar gestolpert und hingefallen. Und während er den Dreck aus seinem Gesicht wischte, haben wir gelacht. Alle machten wir kurz Pause und lachten. Sogar Papa. Und du hast am lautesten gelacht.
Ich vermisse solche Momente. Die Liebe, die dich damals umgab. Die Liebe, die du selbst versprühtest. Für Pünktchen, für Mama und Papa. Und für mich. Und die Flecken; die Heidelbeerflecken, mit denen du dein T-Shirt wieder besudelt hattest. Du hattest es dir nicht nehmen lassen, die Hundejagd mit der Schale Heidelbeeren in den Händen anzugehen. Und du hast wieder ausgesehen. Es war dein Lieblings-Shirt. Lila Flecken auf weißem Stoff. Keine Ahnung, wie viele T-Shirts wir wegschmeißen mussten, wegen der Heidelbeerflecke.
Doch das ist alles nicht mehr wichtig. All das gibt es nicht mehr. Alles hat sich verändert. Du hast alles verändert. Aus Liebe wurde Verzweiflung. Aus deinem Lachen wurden Tränen. Und aus Lila wurde Rot. Aus Heidelbeerflecken Blut.
Oh Gott, da war so viel Blut!“
© Dominik Beneder 2023-08-23