Kapitel 3: Die seltsame Blume

Münster

von Münster

Story

Der kaum sichtbare Pfad wand sich zwischen dichten Büschen und hohen Bäumen hindurch. Die Stämme waren teilweise so dick, dass Flavia darin bequem hätte schlafen können, wenn sie das Innenleben zu einer Höhle umfunktioniert hätte. Nicht, dass sie das vorgehabt hätte. Die wenigsten Bäume stellten eine Bedrohung für das Gleichgewicht des Waldes dar.

Gedankenverloren summte Flavia eine Melodie, die sie selbst komponiert hatte und mit der sie ihre Schritte in einen gleichmäßigen Rhythmus leiten konnte. Unkoordinierte Bewegungen lenkten die Aufmerksamkeit jedes Geschöpfes auf den Unruhestifter und störten den Frieden des Waldes. Flavia konnte sich durch ihre ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen beinahe lautlos durch den Wald bewegen. Vögel und andere Waldbewohner würden ihre Präsenz als vorbeiziehenden Rosenduft wahrnehmen und sich somit nicht bedroht fühlen. Und falls sie mehr hinter dem Windhauch vermuteten, so wüssten sie dennoch, dass es sich nur um eine Fee handeln konnte, denn niemand bewegte sich derart leichtfüßig durch den Wald.

Das Zwitschern der Vögel begleitete Flavia zu einer Lichtung, die ihr unbekannt war. Verblüfft blieb Flavia stehen und beendete ihr kleines Lied ruckartig, sodass die Vögel in den Bäumen erschrocken innehielten, ehe sie ihren Gesang wieder aufnahmen. Wie lange hatte sie nicht mehr auf diesem Pfad ihre Runde gedreht? Konnte sich eine Lichtung derart schnell entwickeln? Das war unwahrscheinlich. Ja, geradezu unnatürlich.

Flavia spitze die Ohren, doch ihr feines Gehör vernahm nichts Beunruhigendes. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter und dann wagte sie sich auf die Lichtung. Grüner, vierblättriger Klee gab unter ihren bloßen Füßen nach, nur um sich im nächsten Moment wieder stolz aufzurichten, kaum dass das Gewicht der Fee sich auf andere Artgenossen verteilte. In der Mitte der Lichtung begann der Klee eine gelbliche Verfärbung anzunehmen, ganz als wäre die Erde verseucht worden. Nur ein paar Schritte weiter entdeckte Flavia schließlich den mutmaßlichen Störenfried. Es handelte sich um eine lilafarbene Blume, deren Stängel in einem seltsamen grau schimmerte. Noch seltsamer war, dass Flavia diese Blume nicht kannte. Kleine, goldgelbe Blätter bildeten einen Kranz unter der Blüte. Ansonsten schien der Stängel kahl zu sein. Flavia bückte sich und begann die Pflanzen auszubuddeln. Sie musste diese Blume untersuchen. Vielleicht war es nur eine seltene Pflanze, die durch einen vorbeiziehenden Reisenden unfreiwillig Wurzeln geschlagen hatte. Vielleicht war es eine neue Art, die die Artenvielfalt des Waldes vermehrte. Wie auch immer, Flavia musste sicher sein, dass das komplexe Waldsystem nicht durch diesen Eindringlich gestört wurde. Hoffentlich würde eine nähere Untersuchung der Pflanze einen entsprechenden Anhaltspunkt liefern.

© Münster 2023-09-13

Genres
Science Fiction & Fantasy