Kapitel 3 – Flucht

Kaycee Hesse

von Kaycee Hesse

Story
Saint-Brieuc, Frankreich

Ich gönnte mir ein paar weitere Minuten Entspannung, dann rappelte ich mich hoch und hievte mich in den Rollstuhl, der neben meinem Bett bereitstand.
So erschöpft wie ich war, brauchte ich bestimmt eine halbe Stunde, ehe ich mein Bett abgezogen und frisch gemacht hatte. Die verschwitzte Bettwäsche legte ich mir auf den Schoss und ging damit ins Bad, wo ich sie einfach erstmal in die leere Waschtrommel pfefferte und meine eigenen Klamotten gleich hinterher schmiss. Dann manövrierte ich den Rollstuhl direkt neben die Dusche und stemmte mich mit den Armen hoch und an den Griffen entlang auf den Plastikstuhl in die Duschkabine.
Endlich schaltete ich das warme Wasser ein und genoss es, all die Schrecken der Nacht von mir abzuwaschen. Eigentlich war es noch zu früh, um richtig aufzustehen, aber auch schon zu spät, um nochmal ins Bett zu gehen, also beschloss ich, mir nach der Dusche ein gemütliches Frühstück zu genehmigen.
Ich ging zurück ins Schlafzimmer, schob die Schiebetür meines halbhohen Kleiderschranks zur Seite und suchte mir frische Klamotten raus. Als ich mich angezogen hatte, ging ich in die Küche rüber und zündete zuallererst die kleine Kerze auf dem Küchentisch an. Nachdem ich mir Kaffee gemacht und ein paar Brötchen in den Ofen geschmissen hatte, setzte ich mich an den Tisch und genoss die Stille.
Es war jetzt fast drei Monate her seit dem Vorfall mit den vielen Jägern in der Stadt und trotzdem schlief ich immer noch wesentlich schlechter als zuvor. Mein Geist wollte einfach nicht zur Ruhe kommen, obwohl ich schon seit einigen Wochen keinen Jäger mehr zu Gesicht bekommen hatte. Das nervte mich tierisch, vor allem ausgerechnet heute! Ich half an drei Tagen die Woche bei einem Blumenladen am Stadtrand aus und heute startete dort eine Ausstellung. Ich konnte also alles an Energie brauchen, was ich bekommen konnte.
Ich streckte eine Hand nach der Kerze in der Mitte des Tischs aus, bis meine Fingerspitze das zarte Flämmchen berührte. Ich spürte die Hitze auf der Haut sanft prickeln und hieß sie willkommen. Meine Hand fing leicht zu leuchten an. Ich nahm die Energie der Flamme in mir auf, bis sie erlosch und fühlte die neue Kraft mich durchströmen. Es war wie eine Art Ritual, mich für besonders anstrengende Tage, die vor mir lagen, zu wappnen.
Nach dem Frühstück schnappte ich mir meine Gürteltasche von der Türklinke und legte sie um. Mit Portemonnaie, Schlüssel und Smartphone bewaffnet, verließ ich die Wohnung.
Ich lief zur nächsten Haltestelle in meiner Straße und wartete auf den Bus. Der Fahrer kannte mich schon und kam mir direkt entgegen, nachdem er den Bus angehalten hatte.
»Salut Chloé«, begrüßte er mich und lächelte freundlich. »Wie geht es dir? Du siehst etwas fertig aus.« Ich folgte ihm zur hinteren Bustür.
»Geht schon«, erwiderte ich und er kannte mich gut genug, nicht weiter nachzufragen. Er machte sich einfach an der Einstiegsrampe zu schaffen und klappte sie für mich aus. Doch dann hielt er noch einmal inne und drückte sanft meine Schulter.
»Wird schon«, meinte er und warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu. Ich war ihm dankbar für seine Geste, er meinte es wirklich gut mit mir, trotzdem erwiderte ich nichts uns stieg einfach ein. Ich brauchte seine Anteilnahme nicht.

© Kaycee Hesse 2023-08-29

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Dark
Hashtags