von Stomur
Ich räume meinen Schreibtisch frei und hinterlasse die Küche nach dem Kochen blitze-blank. Wenn es mir gut geht, räume ich auf. Und jetzt gerade geht es mir gut. Ich bin erleichtert, über neue Bekanntschaften und Erfolg im Chemie Test. Und ich plane dieses Gefühl ausgiebig zu genießen. Zufrieden lasse ich mich auf meinen Stuhl fallen und mache ein YouTube Video an.
Nur wenige Minuten später höre ich aus dem Zimmer meines Mitbewohners leises Stöhnen, das immer lauter wird. Anscheinend hat er weiblichen Besuch. Irgendwann ist es so laut, dass ich nicht mehr drüber hinweghören kann. In dem Moment, in dem er anfängt, laut „Nadja“ zu rufen, beschließe ich zu gehen. Ich weiß, dass mir das die Laune verhageln wird. Und ich habe nicht vor das zuzulassen.
Eigentlich dachte ich ja, seine Freundin würde Pia heißen. Ich hatte ihn einmal mit einem Freund über sie reden hören. Aber offenbar habe ich mich geirrt.
Mit meinem Pullover über dem Arm und offenen Schuhen eile ich aus der Wohnungstür. Erst unten vor der Haustür habe ich die Ruhe mich komplett anzuziehen. Dann trete ich raus, in die sternenklare Nacht, in der ich scheinbar ganz allein bin. Einmal hole ich tief Luft und gehe los, ohne ein Ziel vor Augen zu haben.
Zu dieser Zeit bin ich am liebsten draußen unterwegs. Wenn nur die Straßenlaternen Licht spenden, kein anderer Mensch unterwegs ist und es einfach still ist.
Ich bin schon einige Zeit unterwegs, als es anfängt zu regnen. Die dicken Tropfen prasseln auf meinen Kopf und mein Pulli ist schnell durchnässt. Mir entfährt ein Glucksen und ich ziehe die Schultern etwas höher, als mir die Tropfen in den Ausschnitt fallen. So durchnässt wie ich bin wende ich mein Gesicht zum Himmel und genieße den Regen, der sich weich und warm anfühlt.
Erst als ein Polizeiauto mit Sirene und Blaulicht an mir vorbeifährt, fällt mir ein, dass ich hier eigentlich nicht abends allein rausgehen wollte. Jetzt, da mir wieder einfällt, wo ich bin, wird mir doch etwas mulmig. Der Spaß, den ich eben noch im Regen hatte, verwandelt sich jetzt in Nervosität. Also laufe ich eilig wieder zurück und sehe mich öfter um.
Vor der Haustür suche ich in meiner Jackentasche gerade nach dem Schlüssel, als die Tür geöffnet wird. Ein junger Mann, etwa in meinem Alter sieht mich überrascht an. Er trägt eine Regenjacke und eine Mütze.
„Hast du keine Regenjacke?“ Er lässt mich durch die Tür eintreten und grinst mich irritiert an.
„Doch, aber nicht dabei.“ Ich lächle zurück und schlüpfe schnell an ihm vorbei. Als ich mit meinen quietschenden Schuhen die Treppe hochhechte, höre ich ihn einmal Lachen, bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fällt.
Wahrscheinlich hält er mich für komisch, weil ich absichtlich im Regen unterwegs war. Ich weiß, es sollte mich nicht sorgen, was er über mich denkt. Aber trotzdem tue ich es. Allerdings machen doch gerade unsere verschiedenen Vorlieben uns interessant. Einige rufen Namen, andere gehen im Regen spazieren. Wenn ich komisch bin, sind es alle anderen doch auch.
© Stomur 2021-08-06