von Demian Kutzmutz
Jonahs Körper schnellte vom Stuhl hoch. Auf ihn zu kam tatsächlich Larissa: graues Oberteil, helle Jeans, die Arme um den Körper geschlungen. Blass wie ein Schemen. Anders als die schwarze Uniform des Mannes, der leicht versetzt hinter ihr ging. Warum schwarz? Die anderen Soldaten trugen alle blaue Kleidung, war dieser hier besonders? Als Jonahs Blick den des Fremden traf, grinste der von einem Ohr zum anderen.
»Jonah Krohn, es ist mir eine Freude«, sagte er, ehe Jonah auch nur ein Wort mit Larissa wechseln konnte. Er erwartete, dass der Mann ihm gleich die Hand entgegenstreckte, doch seine Arme blieben schlaff am Körper hängen. »Ich habe Ihre Freundin gefunden.«
Zähes Schweigen füllte die Luft, und Jonah sah unschlüssig zwischen dem Fremden und Larissa hin und her. Es kam ihm vor, als wartete der Mann nur darauf, dass er eine falsche Bewegung machte, um dann zuzuschnappen wie ein Raubtier, das hinter seinem Köder lauerte. Der Anglerfisch und das Licht …
»Ich würde die beiden gerne ein wenig herumführen«, sagte der Fremde schließlich an Eddy gewandt. »Sofern ich informiert bin, werden Sie sowieso bereits erwartet.« Jonah hatte es nicht für möglich gehalten, aber das schaurige Grinsen wuchs sogar noch weiter. »Viel Spaß. Sereau lässt man besser nicht warten.«
»Wir haben nicht viel Zeit, deshalb werde ich Ihnen nur das Wichtigste erzählen.« Der Fremde führte Jonah und Larissa in die Eingangshalle des Gebäudes. An ihrem Stirnende ragte die bronzene Statue empor, die Jonah schon heute Morgen aufgefallen war. »Primum non nocens«, las der Mann die eingravierten Worte auf ihrem Sockel vor. »Zuerst nicht schädlich. Eine Abwandlung des Hippokratischen Eids. Finden Sie das clever?« Jonah war sich nicht sicher, ob eine Antwort erwartet wurde. »Die Autokratische Solidarität wurde mit dem Ziel gegründet, eine lebenswertere Welt zu schaffen, auf der Schlechtes nicht nur vermieden wird, sondern gar nicht erst entstehen kann. Und lassen Sie mich so viel sagen: Dieses Ideal lässt sich ohne Zweifel in die Tat umsetzen. Das hat Ihnen Jacques ja bereits erzählt.« Der Fremde wandte sich Jonah zu, doch der wich seinem Blick aus. Er hatte das Gefühl, als hörte der Typ einfach nicht auf zu grinsen. »Ihr Freund Eddy wird sich davon noch heute selbst überzeugen. Doch zurück zur AKS. Sie teilt sich in zwei grundlegende Organe auf: den Körper und die Seele. Der Körper ist die Exekutive der AKS, mit Jacques Sereau an seiner Spitze. Die meisten Soldaten, die Sie sehen, sind Teil des Körpers. Er macht die große Mehrheit der AKS aus.« Der Fremde fixierte wieder die Statue – sein Blick stand ihrem in nichts nach. »Das war nicht immer so. Für viele Jahre war die Seele die tragende Säule der AKS. Und auch jetzt sind es hochrangige Seele-Mitglieder, die die Führungsriege dominieren. Sehr zum Unmut von Personen, die der Meinung sind, der Körper sei das eigentliche Herzstück der AKS und kümmere sich um die ganze Drecksarbeit.« Der Mann zwinkerte Jonah zu. »Häufig haben diese Personen französische Namen.«
Jonahs Gedanken rasten. Diese Gruppe sollte es schon seit Jahren geben? Wie konnte das niemand bemerkt haben?
»Ich befürchte, unsere Zeit ist um. Mehr vielleicht an einem anderen Tag.« Die Augen des Fremden schienen zu glühen. »Aber es kann sowieso schon jemand kaum erwarten, Sie kennenzulernen. Bestellen Sie ihr meine Grüße – sie wird sich freuen, von Tenda zu hören.«
© Demian Kutzmutz 2023-07-08