Kapitel 5

Nicole Stabler

von Nicole Stabler

Story

TRAUMFÄNGER

„Sah sie glücklich aus?“

„Ja. Sie hat gelacht“, mein schlechtes Gewissen raubte mir beinahe den Atem, doch ich wusste, dass ich das Richtige tat. Es war das Beste so, redete ich mir wie ein Mantra ein.

Nachtschatten fuhr sich mit den Händen durch die Haare und seufzte. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie jemanden findet. Außerdem habe ich ihr dies ja genauso gesagt. Ich habe sie sozusagen in die Arme dieses Mannes getrieben. Ich bin so ein Idiot. Warum habe ich sie nur gehen lassen, Traumfänger?“

Diese Frage stellte ich mir selbst seit zwei Jahren.

„Du wolltest das Beste für sie“, versuchte ich es mit einer Antwort.

Nachtschatten knallte die Fäuste auf den Tisch. Eine Schankmaid spähte zu uns und die Männer am Nebentisch blickten interessiert zu Nachtschatten. Es wirkte beinahe so, als erhofften sie sich eine Auseinandersetzung.

„Wie konnte ich nur so dumm sein!“

Auch darauf wusste ich keine Antwort.

Welch guter Freund ich doch war.

Nun war Nachtschatten es, der seinen Krug leerte und Camilla ein Zeichen gab für Nachschub zu sorgen.

Eine Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Nachtschatten schien in trübseligen Gedanken zu schwelgen und ich wusste nicht, wie ich ihm helfen konnte. In meinem Kopf legte ich mir Sätze zurecht, doch ich verwarf sie alle wieder.

„Meinst du, sie kommt zu mir zurück, wenn ich mich bei ihr entschuldige?“

Ich sah ihn ernst an. „Nein, Nachtschatten. Du hast sie vor zwei Jahren gehen lassen. Nicht nur das, du hast ihr Herz gebrochen, obwohl sie dir tausendmal gesagt hat, dass sie dich und niemand anderen will. Ich bin dein bester Freund und ich weiß, wie sehr du seit diesem Tag leidest. Aber ganz ehrlich? Du hattest deine Chance bei ihr. Nun scheint sie jemanden gefunden zu haben, der ihr guttut. Sie hat mit euch abgeschlossen. Das solltest du auch endlich machen. Lass sie glücklich werden, selbst wenn sie dieses Glück nicht mit dir gefunden hat.“

Nachtschatten schwieg. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich konnte nicht erkennen, wie er zu meinen Worten stand. Dann kramte er einige Münzen aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.

„Für Camilla. Ich, ich muss jetzt gehen.“ Mit diesen Worten verschwand er in der Menge.

Welch guter Freund ich doch war.

© Nicole Stabler 2024-03-06

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Dunkel