von Yasmin Jung
Eine Villa mit 220 m² Wohnfläche, eine Gartenanlage, so groß, als hätte man einen Schlossgarten anlegen wollen und zwei Menschen mit herausragenden Leistungen im Berufsleben. Ich spreche von meiner Mutter, einer exzellenten Rechtsanwältin mit der Spezialisierung zur Fachanwältin für Strafrecht, die mit ihrer systematisch ausgeklügelten Arbeitsweise jeden Fall für sich entscheidet, um als Siegerin aus dem Gerichtssaal zu stolzieren. Mein Vater ein gut ausgebildeter Rechtsanwalt mit der Spezialisierung zum Fachanwalt für Familienrecht. Der Mixer mit dem Obst Smoothie meiner Mutter geht auf der großen weißen Marmorplatte unserer Küche regelrecht unter. „Es würde dir guttun, wenn du aufhören würdest dieses ungesunde Zeug in dich hineinzustopfen und dein Wunsch in einem Ballettensemble mitspielen zu wollen“, ihr zynisches Lachen kommt prompt: „Meinst du allen Ernstes SO will dich irgendjemand auf der Bühne sehen, schau dich doch nur mal an, mit graziler Prima Ballerina hat DAS gar nichts zu tun?“, abwertend und kritisch blickt sie an mir auf und ab. Ich kenne diese bissigen Kommentare schon seit ich sechs Jahre alt bin, da habe ich meinen Traum einmal Balletttänzerin werden zu wollen noch laut ausgesprochen, mittlerweile behalte ich meine Wünsche und Träume für mich, weil es ganz egal ist, welche Leidenschaft ich tief in mir verspüre, meine Eltern haben einen ganz klar vorgegeben Plan für mich vorgesehen. Studieren, die Spezialisierung im Bereich Erbrecht absolvieren und in ihre Kanzlei mit einsteigen. Dass ich seit meinem neunten Lebensjahr täglich in die Ballettschule gehen kann, liegt daran, dass ich anfing schulisch aufzufallen, weil mein Wille Ballett ausüben zu wollen so unfassbar stark in mir brannte. „Damit der Ruf unserer erfolgreichen Familie bestehen bleiben kann, lassen wir sie doch zu diesem lächerlichen Ballett gehen!“, ertönt in Gedanken die Stimme meines Vaters. „Du hast recht, wer weiß, womöglich hat es Vorteile sie zu Mädchen zu stecken, die alle diesem gewissen Ideal entsprechen.“ Gibt meine Mutter zurück. Das große „Ziel“ durften sie nicht aus den Augen verlieren und so wurde mein „Hobby“ an Bedingungen geknüpft. Keine meiner geschriebenen Klassenarbeiten durfte schlechter als der Note 2 entsprechen, ich durfte keine Partys besuchen, Freundinnen durften lediglich unser Haus betreten, wenn sie klare Ziele für ihr Leben definieren konnten, denn ziellose Menschen sind für meine Eltern zu nichts zu gebrauchen. Die Sommerferien beginnen in wenigen Minuten und unser Fahrer Max wird mich von der Schule abholen, ich weiß nicht welches der unzähligen Kindermädchen diesmal auf mich warten wird, aber ich weiß, dass es jedes Jahr ein Neues Kindermädchen ist. Den wahren Grund erfahre ich erst einige Jahre später, zu meinem vierzehnten Geburtstag, als meine Eltern sich scheiden lassen und einen mehr als hässlichen im Hintergrund geführten Ehekrieg vollführen. Ich hätte es nie geglaubt, aber mein Vater entwickelte Gefühle für eine meiner Kindermädchen und wollte sich ein neues Leben mit ihr aufbauen, ohne Rücksicht auf die übriggebliebenen. „Ein notorischer Fremdgänger Meike, aber das sind sie alle, Männer eben, auch wenn sie einem etwas anderes erzählen“, faucht meine Mutter seither fast täglich. Als alle Besitztümer zerstückelt und verteilt waren, verabschiedete mein Vater sich von mir. Vom Neuanfang in Paraguay, war die Rede, danach verschwand er und kam nie wieder zurück.
© Yasmin Jung 2024-03-03