Kapitel 6: Die Schatten der Maske

Neo Knieps

von Neo Knieps

Story

Die verwinkelten Straßen, die zum Theaterplatz führten, waren geschmückt mit flatternden Stoffstreifen und frischen Blumen, deren Duft sich schwer in der warmen, feuchten Luft hielt. Die Kinder, die Eira vor ein paar Stunden beobachtet hatte, liefen nun nicht mehr wild und voller Energie umher, sondern saßen auf dem Boden und malten mit Stöcken Bilder in den Sand. Jaolo ging vor ihr, den Blick geradeaus, als hätte er es aufgegeben, sie noch einmal anzusehen. Wahrscheinlich wusste er, dass sie nicht reden wollte. Eira fühlte sich fehl am Platz. Ihre Schultern hochgezogen, die Hände zu Fäusten geballt, ihre Gedanken wie dazu gezwungen, keine Freude zu empfinden, obwohl die ganze Welt um sie herum fröhlich, unbeschwert wirkte. Alles war leicht, alles war hell, nur sie fühlte sich schwer im Herzen. Sie wusste, sie könnte diese Freude nicht fühlen, egal wie stark sie es sich wünschen würde. „Ich hasse diese Rolle“, sagte Eira zu Jaolo. Jaolo seufzte, ohne sich umzudrehen. „Du sagst das jedes Jahr und hast es mir eben auch schon ziemlich klargemacht.“ „Weil es jedes Jahr stimmt.“ Jaolo schwieg. Als die beiden vor dem Theaterplatz standen, blieben sie stehen und schauten einander an. Der Theaterplatz war eine helle Senke aus Sandstein, umgeben von Stufen, die sich wie ein Schneckenhaus wandten. Unten, auf der improvisierten Bühne aus Holz und Tüchern, probten schon zwei Kinder – ihre Stimmen übertrieben pathetisch, wie man es ihnen beigebracht hatte. Jaolo reichte Eira ihr Kostüm, das auf der obersten Stufe einer Treppe lag und wünschte ihr viel Glück und Spaß.

Ungefähr 25 Minuten später begann die Aufführung mit einem Knistern – einem künstlich erzeugten Geräusch, welches das Auftreten des Feuerballs andeuten sollte. Ein Kind mit roter und oranger Farbe geschminkt und in gelben Tüchern eingewickelt, lief zischend über die Bühne. „Der Feuerball, den der Himmel schickte, traf die Eisseite voller Wucht“, sagte der Erzähler, „dass selbst die Luft zitterte und die Krio glaubten, wir – die Zesto hätten ihn geworfen.“ Dann kamen die Kostümierten: dicke Umhänge, helle Pelz-Imitationen, tief über die Stirn gezogene Kapuzen. So liefen sie – gebückt, schwerfällig, fast wie Tiere, die nicht aufrecht gehen konnten. So stellte man sich die Krio vor. So musste Eira sich bewegen. Die Bühne zeigte den Krieg: Tänze, Musik, Nebel. Eine große Karte des Kontinents – Karan – war aufgespannt, im Westen rot gefärbt, für die Wüsten und im Osten, für die Eiswelt, blau gefärbt. In der Mitte war die Karte grau, um die Gebiete zwischen den zwei extremen darzustellen. „Die Kraft, die unser Planet in sich trägt“, sagte der Erzähler weiter, „ist das, was alles lenkt. Die älteren Völker nannten sie Solith. Sie fließt in allem. In der Erde, im Licht, in den Menschen. Doch wenn sie verletzt wird, antwortet sie.“ Eira wurde zwischen, als Riesentauben verkleidete Mädchen auf den Boden geschubst. Sie tat so als würde sie mit den Fäusten auf diese einschlagen. „Durch Armut zum Verrat bewegte Krio, banden Nachrichten, gegen Bezahlung an die Krallen der Tauben und halfen uns dadurch zu siegen. Doch der König der Krio – Skarven, ließ diese heiligen Tiere töten. Zum Sieg verhilf es ihm nicht. Heldenhaft siegten unsere Flammen und das Eis musste schmelzen.“ Als Eira von der Bühne geschubst wurde, begannen die Zuschauer sie auszulachen – sie fingen an Eira auszulachen, nicht die Rolle – sie selbst wurde ausgelacht. Das fühlte sie.

© Neo Knieps 2025-04-19

Genres
Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Unbeschwert, Traurig, Angespannt
Hashtags