von DeniseJoan
Wir hielten schließlich an einem First, der uns freie Sicht auf eine Reihe von Fenstern bot. Hinter der Glasscheibe einer Wohnung saß eine Familie um einen Tisch. Auf den ersten Blick wirkte es harmonisch: vier Menschen, die zur selben Zeit am selben Ort waren und ein gemeinsames Abendessen miteinander teilten. Doch beim zweiten Hinsehen erkannte ich es. Jeder von ihnen hatte einen Bildschirm vor sich. Ein bläuliches Leuchten, das ihre Züge ausradierte. Kein Wort zueinander. Kein Blick zueinander. Nur dieses gemeinsame Schweigen, das nichts teilte.
„Sie wohnen und essen zusammen und sind doch allein“, murmelte ich.
„Das ist das neue Zusammen“, sagte sie. Keine Bitterkeit in ihrer Stimme, nur eine leise Feststellung, nüchtern und ohne Wertung. Sie hatte recht. Doch mir fiel es schwer, es auch so nüchtern zu betrachten.
Wir gingen weiter, und je mehr ich in die Fenster blickte, desto öfter sah ich es wiederholt. In einer Wohnung saß ein Mann in einem Sessel, den Blick starr auf ein flackerndes Bild vor ihm gerichtet. In der nächsten stand eine Frau am Herd, das Handy selbst beim Kochen in der Hand. Nebenan ein Paar: Während er auf dem Fernseher Videospiele spielte, tippte sie auf ihrem Tablet herum. Wieder ein paar Häuser weiter lag ein Kind im Bett – nicht schlafend, sondern hypnotisiert von einem kleinen Bildschirm, der sein Gesicht erhellte wie ein künstlicher Mond. Ein leuchtendes Rechteck neben dem anderen. Keiner von ihnen sah wirklich glücklich oder erfüllt aus. Höchstens abgelenkt. Ablenkung vom Leben selbst.
Ich dachte an die Party, die ich gerade verlassen hatte. An die Gesichter im gleichen blauen Licht, an das Lachen, das nichts meinte und die Gespräche, die nichts sagten. Und ich fragte mich, ob es überhaupt noch einen Unterschied machte – allein zu sein oder inmitten von anderen. Vielleicht war es überall dasselbe. Man musste nicht in einem leeren Raum sitzen, um einsam zu sein.
Ich wandte den Blick ab und sah zu ihr. Sie drehte sich zu mir um, und ein flüchtiges, tröstendes Lächeln huschte über ihre Lippen, als hätte sie gesehen, was ich sah, und als wüsste sie längst, was es mit mir machte.
Dann ging sie weiter, barfuß, sicher, fast schwerelos. Ich folgte ihr tastend und stolpernd.
Sie sprang über eine schmale Lücke zwischen zwei Häusern. Mein Herz schlug schneller, weniger vor Angst, herunterzufallen, als wegen der Nähe zu ihr. Denn sie blieb stehen und streckte mir die Hand hin. Ich ergriff sie.
Ihre Hand berührte meine, warm und fest. Und dann waren da noch ihre Augen. Augen, die meine fanden. Die hinsahen. Wirklich hinsahen. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. Für einen Moment war alles um mich herum still. Alles verblasste. Es gab nur sie und mich, auf diesem Dach, über all dem anderen. Und mir wurde klar: Unten saßen sie nebeneinander und waren allein. Doch wir – wir waren zwar allein hier oben, aber wir waren nicht einfach nur nebeneinander, sondern miteinander.
Wir waren echt.
© DeniseJoan 2025-08-31