von Marlis Breckner
Superhelden, die man aus Filmen kennt, tragen Masken. Sie verstecken ihre Identität, um ihre Mitmenschen zu schützen oder weil die Verantwortung zu groß ist. Vielleicht aber auch, um sich selbst zu schützen. Masken bieten wunderbaren Schutz, solange die Menschen nicht das wahre Gesicht hinter ihnen kennen. Masken sind wie ein Schutzschild. Dankbare Unsichtbarkeit. Eine Sicherheit, sich den ein oder anderen Fehler erlauben zu dürfen, denn die Leute würden jemand anderen dafür verantwortlich machen. Jahrelang blickte ich morgens in den Spiegel und sah mein Gesicht. Doch sobald ich das Haus verließ, zog sich etwas über alles, was die Menschen von mir sahen. Meine Maske machte mich nicht zur Superheldin. Sie zeigte den Menschen eher eine leise Version von mir. Denn warum sollten sie mein wahres Ich sehen wollen? Was gab es denn Sehenswertes an mir?
„Sei doch einfach du selbst!“, sagten die Stimmen, während sie mich dabei beobachteten, wie ich verzweifelt versuchte, die Maske herunterzureißen, von der ich noch nichts wusste. Ich blickte in die Welt mit eingeschränkter Sicht. Durch Masken sah man nicht unbedingt, was rechts und links von einem lag. Ich verfing mich immer mehr in einem Tunnelblick. Hielt mir Augen und Ohren zu und blendete alles Neue aus, was mir potenziell schaden könnte.
Dass da überhaupt eine Maske war, realisierte ich erst, als man sie mir das erste Mal abnahm. Plötzlich konnte ich viel mehr sehen. Plötzlich waren da viel mehr Farben. Der Tunnelblick lichtete sich ein wenig und ich konnte mich umsehen, die Welt betrachten. Ich konnte mit den Menschen lachen, die sich mir nicht abwandten, als ich zurücklächelte. Meine Maske lag auf dem Boden und niemand schenkte ihr mehr Beachtung. Ich sah ein Haus, die Fensterläden waren offen. Genau wie die Tür, durch die ich in ein Wohnzimmer kam. Eine Couch, ganz viele Kissen, eine gemütliche Chill-Ecke, Dekoration. Eine Gruppe Menschen wartete auf mich. Und zum ersten Mal hatte ich keine Angst vor der neuen Herausforderung, die sich mir auftat. Als wüsste mein Körper automatisch, dass ich hier sicher war. Für ein paar Stunden konnte ich meine Maske ablegen und einfach nur vergessen. Hier, an diesem ruhigen Ort.
Hier, wo die Menschen nicht müde wurden, jedes Mal erneut meine Maske abzunehmen.
Hier, wo ich mich auch ohne Maske sicher und befreit fühlte.
Hier, wo man mir einen Spiegel zeigte und sagte: „Das bist du!“
Immer wieder zog es mich zurück an den Ort, wo ich gesehen wurde. Unglaublich schnell brach meine Mauer und die maskenlosen Helden kletterten mühelos über die Trümmer. Sie fanden den Weg zu meinem Herz, öffneten die Tür und traten ein.
Man selbst zu sein war niemals eine Entscheidung. Oft schaute ich in den Spiegel und jedes Mal sah ich jemand anderen. Es kam auf die Menschen an, die mir den Spiegel vorhielten. Hatten sie selbst vielleicht auch Masken an? Hatte ich meinerseits dazu beigetragen, dass die Maske eines anderen fiel? Letztendlich war ich auch nur ein kleines Puzzleteil des großen Ganzen. Aber egal, wie klein und unbedeutend ich mich oftmals fühlte. Hier fühlte ich mich bedeutend.
Hier, wo Helden keine Masken trugen.
© Marlis Breckner 2023-09-02