Kapitel 7 – Mit Honig fängt man Fliegen

Elisa Thanner

von Elisa Thanner

Story

Verlässt jemand diese Erde, hängt sich immer etwas an die Hinterbliebenen. Eine Art Echo. Für Menschen wie mich sind diese Überbleibsel als schwache Schatten sichtbar. Schemenhafte Gebilde, die um die Betroffenen wabern wie Nebelschwaden. War die Verbindung zu Lebzeiten stark, kann ich aus den Echos lesen wie aus einem offenen Buch. Vergangene Momente, Erinnerungen, ob gut oder schlecht, offenbaren sich mir. Wissen, das man nutzen kann, wenn man die Lebenden von seinen Fähigkeiten überzeugen will. Zum Beispiel, wenn man einen Kommissar dazu bringen möchte, seine Ermittlungen in die Richtung zu führen, die einem ein Geist vorgibt.

Als gerade der letzte Tropfen Kaffee durch die Maschine rinnt, läutet es an der Tür. Eilig mache ich mich auf, meinen Besucher zu empfangen.

“Hallo Herr Herbstfeld, schön, dass Sie es einrichten konnten“, begrüße ich ihn lächelnd. Er nickt mir kurz zu, bevor er über die Türschwelle tritt. Ich deute ihm mit einer Handbewegung an, mir zu folgen und gemeinsam steigen wir die Stufen zu meiner Wohnung empor. Der skeptische Blick, mit dem er sich in meinem Zuhause umsieht, ist mir durchaus nicht entgangen.

“Bitte, setzen Sie sich. Darf ich Ihnen Kaffee und etwas Süßes anbieten?“, frage ich höflich und schiebe, ohne die Antwort abzuwarten, einen kleinen Teller mit Honigkuchen über den Küchentisch in seine Richtung. Zufrieden stelle ich fest, wie sein Gesicht sich erhellt.

“Greifen Sie nur zu“, fordere ich ihn freundlich auf, nachdem ich, mit zwei dampfenden Tassen in der Hand, ihm gegenüber Platz genommen habe. Dankend nimmt er den Kaffee entgegen, bevor er sich am Kuchen bedient. Vorsichtig nippe ich an meinem Getränk, während ich über den Rand der Tasse hinweg beobachte, wie der erste Bissen in seinem Mund verschwindet.

“Wow, das schmeckt ja wie bei Oma“, stellt er überrascht fest. Ein Hauch Anerkennung schwingt in seinen Worten mit. Der Schachzug ist mir schonmal geglückt. Es hat mich allerdings auch die halbe Nacht gekostet, dieses kleine Meisterwerk aus dem Ofen zu zaubern. Als er bei unserem ersten Treffen mit der Begutachtung der Leiche beschäftigt war, habe ich sein Echo ein wenig studiert und dabei die Erinnerungen an den selbst-gebackenen Honigkuchen seiner Oma gesehen. In diesem Moment hatte ich den Geschmack auf der Zunge und mir wurde warm ums Herz.

“Sie haben am Telefon gesagt, dass Sie mit mir etwas wegen dem Fall Melanie Adler besprechen möchten“, holt der Kommissar mich aus meinen Gedanken in die Wirklichkeit zurück. An seinem Mundwinkel kleben kleine Krümelchen. Ein Anblick, der mich schmunzeln lässt.

“Herr Herbstfeld, ich mache es kurz. Die Toten sind mir gegenüber zuweilen offener, als es bei meinen Kollegen der Fall ist. Die Geister nutzen mich als ihr Sprachrohr und Melanie Adler hat viel zu erzählen. Sie wurde ermordet, und wenn ihr Mörder nicht bald dingfest gemacht wird, dann könnte das für mich unangenehme Folgen haben.“

Als sich unsere Blicke treffen, ist es totenstill.

© Elisa Thanner 2022-04-11

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