Kapitel 8: Verwundet

Wolfgang Rauh

von Wolfgang Rauh

Story

Ich warte nicht, bis der Tag hell genug ist, um den Abhang zu sehen, den ich heruntergestürzt bin. In meiner Vorstellung steht mein nächtlicher Besucher dort oben und beobachtet mich. In einer anderen Form von verständlicher Paranoia tut er das nicht, weil er irgendwo durch den Wald am Weg zu mir nach unten ist.

Meine Kleidung ist immer noch feucht und jetzt, wo das Adrenalin allmählich nachlässt, beginne ich zu zittern. Erschöpfung und Kälte, aber vielleicht auch Fieber. Eisbaden ist sicher gut fürs Immunsystem, die Nacht als Verwundeter in nasser Kleidung draußen zu verbringen nicht.

Ich kämpfe mich durch das dichte Unterholz und akzeptiere, wie langsam ich vorankomme. Bald erscheint mir der Abstand zum Hang groß genug, und als ich eine kleine Lichtung finde, gönne ich mir eine Pause. Was ich mache, macht keinen Sinn. Einfach drauf los zu gehen verschlimmert meine Situation. Ich weiß noch weniger, wo ich bin, als vorher, und falls Suchtruppen unterwegs sind, tun sie das auch. Das Gebiet hier ist riesig und verlassen. Es ist leicht, sich darin zu verlaufen, und es ist gefährlich. Ohne Orientierungshilfe läuft man im Kreis, weil ein Fuß stärker belastet wird als der andere, und bis man merkt, dass man die angestrebte Richtung nicht beibehält, hat man zu viel Energie und Zeit verschwendet.

Ich muss nachdenken. Einfach nur in Bewegung zu bleiben, reicht nicht. Aber sobald ich sitze, kühlt mein Körper schneller aus. Die Kleidung fühlt sich nässer an, als sie ist, und der Wind scheint stärker zu werden, obwohl er das nicht tut.

Von dort, wo ich sitze, kann ich ein Tal überblicken, das aus nichts anderem als Baumwipfeln besteht, unter denen alles sein kann oder nichts. Mein Bauch grummelt, was ich ignoriere. Noch ist Essen nicht mein größtes Problem, sondern Wasser. Für die Wunden und das pelzige Gefühl in meinem Mund. Gegen die Kopfschmerzen würde es sicher auch helfen. Zumindest ein bisschen.

Ich denke an Infektionen und ihre Folgen hier draußen. Ich denke nicht an die, die ich zuhause zurückgelassen habe und die sich vielleicht bereits Sorgen machen. Mein Verstand ist auf Autopilot und ich lasse ihn dort.

© Wolfgang Rauh 2025-02-12

Genres
Spannung & Horror