Kapitel zum Buch

Viviane Mathes

von Viviane Mathes

Story

April 2021: Den kleinen Bauch vor mich hertragend, kugelte ich aus dem Auto und ging auf meine Tante Laura zu. Dass sie 15 Jahre älter war, sah man ihr nicht an. Den Namen des kleinen Jungen, in ihrem Bauch, verrieten mein Onkel und Laura noch nicht, denn sie mussten so lange warten, um endlich Eltern zu werden. Laura wirkte noch weiblicher, doch bei der nächsten Bewegung, verzerrte sich ihr Gesicht als hätte sie Schmerzen. Wir begrüßten uns herzlich. Emilia kugelte in mir herum, nur drei Monate vom ET meines Cousins entfernt. Lauras braun-grüne Augen wurden von langen, schwarzen Wimpern umrahmt, doch das Schönste an ihr, konnte man gar nicht sehen, denn dazu, musste man sie hören. Sie konnte aus vollem Herzen lachen, so laut, dass sogar ihre Meerschweinchen einstimmten. Und wenn sie anfing zu singen, dann musste man ihr einfach zuhören. Für diese Fröhlichkeit, trotz all dem was sie erlebte, bevor sie meinen Onkel heiratete, respektierte und liebte ich sie. Gemeinsam stiegen wir die Treppe des Hauses hinauf.
Im früheren Arbeits- und Fernsehzimmer meines Opas, ließen wir uns auf der Couch nieder. Ich sah Laura an: ›Wie geht es dir?‹
›Mir ist den ganzen Tag schlecht und in der Wirbelsäule zieht es nach oben‹, sie zeigte mit ihrem Zeigefinger auf den oberen, rechten Rippenbogen.
Entsetzt sah ich sie an: ›Das hört sich aber nicht gut an. Das solltest du mit deiner Frauenärztin besprechen‹, besorgt legte ich ihr eine Hand auf die Schulter.
Sie meinte, sie würde dem nachgehen, wenn sie endlich Ruhe habe. Denn der Umbau im Haus-der-Erinnerung musste fertiggestellt werden. Beim Abschied nahm ich Laura ganz fest in den Arm und flüsterte: ›Ich hab dich lieb und falls wir uns vor der Geburt nicht mehr sehen, wünsche ich dir ganz viel Freude beim Kennenlernen‹.
Auf der Heimfahrt machten wir einen Boxenstopp bei meiner Oma. Hier verabredeten wir uns alle zu Ostern, inklusive meiner schwangeren Tante. Als Ostern jedoch näher rückte, ging es meiner Tante nach wie vor nicht allzu besonders und so spielte an diesem Tag jeder in der Familie sein Solo.

Mai 2021: Ich sollte mein Kind zu den Engeln ziehen lassen und den Geschwistern erklären, wieso Emilia sterben würde. Wie soll man Kindern eine Chromosomenstörung erklären? Ich stand vor Fragen über Fragen. Selber kannte ich nur eine Lösung: Liebe und Zeit – deshalb plante ich den Abschied meiner Tochter bis ins kleinste Detail: ihre Geburt, ihre Beerdigung, unsere Andenken und Erinnerungen.
Am 13.06.2021 lernte ich meine Tochter Emilia kennen. In aller Stille kam sie in unser Leben und verließ es genauso schnell wieder. In dieser Nacht leuchteten die Sterne nur für mich und Emilias Vater. 20.06.2021: Als ich am Tag der Beerdigung, die Anwesenden betrachtete, stellte ich fest, dass meinem Vater Tränen hinabliefen. Neben ihm stand mein kleiner Bruder, auch er zeigte seinen Verlust. Von meiner Mutter und jüngeren Schwester brauchte ich gar nicht zu sprechen, bei Ihnen stand die Liebe zu mir oder zu Emilia außer Frage. An diesem sonnigen Tag der Beerdigung von Emilia, die in der 24. SSW starb, standen an meiner Seite, anders als gedacht, nicht die, mit denen ich Gefühle und liebe tauschte, sondern Menschen die ich von mir weg stieß. Trotz dessen standen sie heute alle an meiner Seite. Danke, dass ihr da wart. (J)

© Viviane Mathes 2024-09-11

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Romane & Erzählungen
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