Karma-Jogga

Musenzeit

von Musenzeit

Story

„Also, bei MIR kann man vom Fußboden essen“, verkündet mir meine Oma R. überzeugend. „Meine neue Freundin geht zum Jogga, oder wie sagt man jetzt modern, aber ich nicht. Wenn ich putze bücke ich mich auch. ICH brauch keine Putzhilfe und kein Jogga.“

Oma R. läuft inzwischen wackelig mit Rollator, lässt es sich aber nicht nehmen, bei ihrem Besuch schon um 5 Uhr morgens heimlich unseren Hof und Treppenstufen zu kehren. Was solle sie sonst in aller Herrgottsfrühe denn tun? Feuer müsse man ja nun nicht machen im Sommer.

Mir bricht der Schweiß aus. Moospflänzchen und Thymian ade, ihr engagierter Besenstrich erwischt sie alle, dann die unebenen Pflastersteine ohne Rollator…! Sollte ich erwähnen, dass wir Gartenmöbel besitzen, auf denen es sich wunderbar sitzen und speisen lässt? –

… Während eines mehrtägigen Retreats wird das Meditationshaus von den Teilnehmenden gemeinsam gepflegt. Jedes Lebewesen wird gewürdigt und in die Freiheit des Gartens entlassen. Kloputzen ist besonders begehrt. Es gäbe bestes Karma. Ob das unterbezahlte Reinigungskräfte tröstet? Engel sein zahlt sich noch nicht aus in der Moderne.

„Hilfst du mir?“ Eine emsige junge Frau, die eifrig an ihrem Karma mit dem Pluspunktejob arbeitet, schaut mich mit Panik in den Augen an. In der Ecke der Gästetoilette kauert ein seinerseits angstvoll in sich zusammengesunkenes, winziges Wesen in seinem einstmals kunstvoll gewebten Zuhause. Ich nehme es vorsichtig auf und bringe es nach draußen. Solch luftige Umzugshilfe leiste ich noch einige Male, die Karmapunkte gehen weiterhin an die eifrige Dame. Ich bin ja nur im Küchendienst, mit einer karmazerstörenden Spülmaschine. „Das ist MEIN Job, ICH mach das“, knurrt uns ein Teilnehmer aggressiv an, als ich und eine andere Teilnehmerin es wagen zu fragen, „seine“ Gläser mit auf die Tische zu verteilen, weil wir mit dem Rest schon fertig waren. Fiese Karmadiebinnen sind wir in seinen Augen, denke ich mir und versuche den heftigen Angriff mit Humor zu nehmen. Später höre ich, dass dieser Mann schwer krank sei.

Täglich sitzen wir mit unserem Lehrer im penibel sauber gehaltenen, prächtig dekorierten Meditationsraum. Wir dürfen die Rezitationstexte nicht auf den Boden legen, aus Respekt vor deren Heiligkeit. Ob Buddha das so gelehrt hat, frage ich mich. Hier und bei meiner Oma wäre das problemlos möglich. Kein Staub, kein Matsch. Alles selbst hinterfragen, für sich selbst prüfen, das lehrt ja diese Philosophie…-

… Ein Haiku aus Japan kommt mir in den Sinn:

Don´t worry, spiders,

I keep house

casually.

(Kobayashi Issa)

Bei den nächsten Besuchen von Oma R. möchte ich um 5h aufzustehen und meine Oma dann bei Sonnenaufgang im Garten mit schönen Gesprächen verwöhnen, inmitten ihrer geliebten Rosen.

Eine Goldene Mitte, so etwa zwischen Issa und Oma R., lebt sich karmaentspannt. Spinne an die Luft bringen, Plaudern und Träumen inmitten von Thymian, Moos und duftenden Rosen – und die Karmapunkte sammle ich zuhause beim Putz-Jogga.

© Musenzeit 2021-03-24

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