Kartoffelschälen mit John Keating

Katrin Nielsen

von Katrin Nielsen

Story

Ein ganz normaler Tag im Lehrerzimmer. Meine Kollegin und ich sitzen am Tisch, trinken Kaffee, tauschen uns aus. „Ihr wart doch am Montag mit den Zehnern im Musical – wie war’s denn?“, frage ich. Sie verdreht nur die Augen. „Furchtbar.“ „Oh? War das Stück so schlecht?“ „Ganz im Gegenteil. Es war toll. Aber ich habe mich noch nie in meinem Leben so fremdgeschämt.“ „Ach je… was haben sie denn gemacht?“ Erstmal haben sie bei der Begrüßung der Schulen so laut und unschön gegröhlt, dass es einfach nur peinlich war. Dann – während das Stück noch lief! – fingen sie an zu klatschen und im Chor nach einer Pause zu verlangen. Und als wäre das nicht genug, haben sich ein paar Jungs über zwei Reihen hinweg gekloppt.“ Ich starre sie ungläubig an.

„In der Pause kam dann der Veranstalter zu mir. Ob wir eventuell gehen könnten. Es war furchtbar. Ich werde so etwas nie wieder begleiten! Da waren Grundschulen anwesend – und die haben sich vorbildlich benommen. Und unsere Abschlussklassen führen so ein Theater auf. Fremdschämen… Einfach fremdschämen.“

Ich nehme diese kleine Story mit auf in mein Repertoire der Dinge, über die ich weiter nachdenken werde. Am Nachmittag stehe ich in der Küche, schäle Kartoffeln, als mir die Szene vom Morgen wieder in den Kopf schießt. Wie wird wohl jetzt damit umgegangen? Welche Konsequenzen wird es geben? Gibt es überhaupt welche?

Mein kleiner innerer Sadist – pädagogisch höchst fragwürdig, aber leider quicklebendig – hat da ja so seine Vorstellungen. Öffentliche Blamage. Gleiche Münze. Einmal bitte richtig fremdschämen – aber diesmal andersrum. Doch dann meldet sich mein kleiner Pädagoge zu Wort. Mein Christenmensch. Mein Gutmensch. „Nein!“, ruft er empört. „Das wäre nicht sinnvoll! Die Strafe muss besser zur Tat passen und Empathie fördern!“

Und ich frage mich: Was würde eigentlich eine Schwester Mary Clarence tun? Oder Monsieur Mathieu? Oder John Keating? Diese Übermenschen aus meinen Lieblingsfilmen, die es schaffen, aus Scheiße Gold zu machen – oder wenigstens das Gold in der Scheiße zu finden. Genau die Sorte Pädagog*innen, die ich so gerne wäre. Vermutlich müssten die Schüler in so einem Film das Musical, das sie boykottiert haben, in kürzester Zeit selbst einstudieren. Der Oberkrawallmacher – Alphawolf, Sigmaboy und TikTok-Prolet in Personalunion – bekäme die Hauptrolle. Am Anfang wäre es natürlich eine Katastrophe. Aber dann: die große Wendung. Sie entdecken ihre Liebe zum Singen. Zum Tanzen. Zum Miteinander. Kurz vor der Premiere steigt der Hauptdarsteller aus, weil sein problematisches Elternhaus Musicals für „nicht männlich“ hält. Doch – große Geste – er kommt zurück. Applaus. Standing Ovation. Tränen. Die Schule – nein, was sage ich: ganz Deutschland – ist gerettet.

Und ich? Ich frage mich beim Kartoffelschälen: Würde das vielleicht wirklich funktionieren? Oder ist das nur eine total beknackte Idee, die mir eben so beim Kochen durch den Kopf gewandert ist? Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Hollywood hat jedenfalls schon Interesse am Drehbuch bekundet.

Oh Captain, mein Captain!

© Katrin Nielsen 2025-04-01

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Komisch, Reflektierend