Kasimir

RiHa

von RiHa

Story

„Dobre Heri, dobre“ tönte aus dem Bad. Kasimir versuchte Papa zu besänftigen. Dieser hatte sich zuvor gegen das kalte Wasser aus der Brause gewehrt und prompt seinen Pfleger mit einem neuen Namen bedacht. „Wölli!“

Kasimir gelang es mittlerweile ganz gut, Papa wieder emotional auf Kurs zu bringen. Mama gab ihm einen Tipp. Sie erzählte dem Pfleger, dass ihr Mann in jungen Jahren, als Matrose auf Lastkähnen die Donau entlangfuhr. Dort erlernte er eine Reihe slawische Phrasen, von Kroatisch bis Russisch.

Zum Beweis, gab mein Vater selbstbewusst ein paar Sätze zum Besten, was den ernsten Kasimir zum Lächeln brachte. Der neue Betreuer redete seinen Pflegling in seiner Muttersprache an. Papa grinste verlegen. Er verstand nichts. Dann fasste Papa Mut und erwiderte in fremder Sprache: „Wie viel kostet das?“ und „Ich spreche kein Russisch!“. Kasimir schmunzelte und antwortete „Dobre“. Gut. Papa lächelte stolz.

Eine zarte emotionale Verbindung zwischen den beiden war geschaffen. Die Pflege gelang nun leichter. Papa duldete sogar, dass ein Mann, seine privatesten Stellen beim Waschen berührte.

Kasimir hatte einen ganz anderen Background wie Ilona. Seine Geschichte, wäre sicher spannend gewesen, aber Kasimir war verschwiegen. Nur wenig war aus ihm raus zu kriegen. Anfangs war ich mir gar nicht sicher, ob er uns überhaupt verstand.

Das erste Treffen war mehr ein Verhör, als ein Kennenlernen. Doch Kasimir antwortete mir knapp aber geduldig. So viel konnte ich aus ihm rauskitzeln. Er war früher LKW-Fahrer. In den 90ern, während des Jugoslawien-Krieges lenkte er Fahrzeuge für die UNO. Heute kann er in seinem Land vom LKW-Fahren nicht mehr leben. Er machte einen Altenpflegekurs und ging nach Österreich. Hier war er nun, ganz anders als Ilona, ruhig und stark. Er machte seine Sache gut.

Zurück zur Badezimmer-Situation. Das war meine Schuld. Ich hatte vergessen, dass ich den Geschirrspüler nicht gleichzeitig einschalten sollte, wenn Papa unter der Dusche stand. Das verursachte eine Temperaturschwankung, die mein Vater und infolge Kasimir ausbaden mussten.

„NEIN!“. „Weg do!“… „Wölli!“, schimpfte Papa laut. „Dobre Heri!“, „Dobre“, erwiderte der Pfleger mit sonorer, ruhiger Stimme.

Ich huschte zum Badezimmer. „Tschuldigung!“, rief ich durch die geschlossene Tür. „Alles gut.“, schallte es zurück.

Kasimir hieß nicht wirklich Kasimir. Sein richtiger Name und sein Auftreten bediente manches Klischee, das man von einem Mann seiner Herkunft und mit seinem Vornamen erwarten könnte. Mama hatte mittlerweile Übung darin, neue Pflegekräfte vorsichtig darauf hinzuweisen, dass Goldketten und Ringe keine gute Idee bei der Pflegetätigkeit waren. Sie machte ihm einen Platz im Regal frei, wo er sein Herrentäschchen samt Preziosen hinstellen konnte. Der Pfleger akzeptierte die Vorgabe einsichtig.

Kasimir hatte in Österreich auch sein privates Glück gefunden. Seine Freundin arbeitete, nicht überraschend, in der Altenpflege.

© RiHa 2020-09-28

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