Katzenjammer – Teil 1

Elisabeth Otto

von Elisabeth Otto

Story

„Noch ein paar Schritte, dann bin ich endlich oben“, schnaufe ich und freue mich darauf, nach Hause zu kommen und mein Fresschen zu erhalten. Klar, ich musste mich unbedingt erleichtern, aber so ein Spaziergang bei warmem Wetter ist in meinem Alter nun mal kein Zuckerschlecken. Wir steigen die letzten Stufen der knarrenden Holztreppe hinauf, als mein Herrchen plötzlich abrupt stehenbleibt. Unsere Wohnungstür ist offen! Alle drei – Herrchen, Frauchen und auch ich – bleiben wie angewurzelt stehen, sichtlich verstört.

„Mister Miyagi!“, sind die ersten Worte, die ich höre, sobald die Schockstarre überwunden ist. Oh nein, dieser Zusammenhang wird mir jetzt erst bewusst – unser Kater könnte ausgebrochen sein! Panisch rennen wir in die Wohnung, rufen seinen Namen, suchen hier und dort, öffnen Schranktüren und holen als letzten Ausweg die Schachtel mit den Leckerli. Das Klappern lockt ihn normalerweise aus jedem Versteck vor, wenn das nicht hilft, weiß ich auch nicht mehr weiter. Nichts. Frauchen lässt sich auf den Stuhl sinken und starrt fassungslos geradeaus. Sie wirkt wie ein Roboter und ihre Augen füllen sich mit Tränen.

„Er ist weg“, keucht sie, „es kann gar nicht anders sein.“ Ohje, mir schwant schlimmes. Wir sind gerade erst hierher umgezogen und haben schon genug damit zu tun, erstmal die neue Wohnung kennenzulernen. Der findet sich hier doch nicht im Entferntesten zurecht und abgesehen davon, war bisher auch nicht geplant, ihn in die Freiheit zu entlassen.

Mein Herrchen schnappt sich den Schlüssel und stürmt in den Garten, Frauchen sucht erneut die Wohnung und später noch den ganzen Hausflur ab.

Als der Kater weiterhin spurlos verschwunden bleibt, bricht richtig Panik aus. Unsere Gassirunde wird erneut abgelaufen, für den Fall, dass er uns heimlich gefolgt ist. Obwohl ich nicht daran glaube, dass mir altem Spürhund das nicht aufgefallen wäre, aber ich will in so einer Situation nicht auch noch den Klugscheißer heraushängen lassen. Die Suche bleibt erfolglos.

Mittlerweile sind sämtliche Nachbarn alarmiert. Ein Foto meines Mitbewohners wurde in einer sogenannten „WhatsApp-Gruppe“ geteilt, Keller und Dachboden werden durchforstet und ein Aushang vorbereitet. Mir kommt es nur ziemlich verdächtig vor, dass angeblich jeder der anderen Hausbewohner während der 30 Minuten, die wir unterwegs waren, zu Hause gewesen ist und weder Garten- noch Haustür geöffnet hat.

Das behaupten jedenfalls alle.

© Elisabeth Otto 2025-06-04

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Abenteuerlich, Emotional, Komisch