Kein Dach überm Kopf

Gerda Modera

von Gerda Modera

Story
Linz 2024

Ein Sonnenwochenende nach Dauerregen und Flut. Unser Dach hat durchgehalten. Ich auch. Ich liebe zwar Pyjamatage, aber vierzehn Tage mit Schwächeanfällen und Wehwehchen von Kopf bis Fuß sind nun einmal genug. Heute bin ich bereit für die Welt da draußen.

Meine Freundin und ich am Radweg nach Linz. Es ist viel los und starker Gegenwind. Die Rennflitzer sind unterwegs. In beide Richtungen. Die Köpfe eingezogen, Vollgas. Die Kilometer zählen, die Natur wird zu einem Nebenschauplatz. Keine Zeit, den Eidechsen auszuweichen und das Glitzern der Donau zu bemerken. Vor mir ein Knirps auf seinem Laufrad. Er ist flink mit seinen kurzen Beinchen, fährt Zickzack, bremst abrupt ab, stellt sein Rad quer, und zeigt mit dem Finger auf mich: „Papi schau, die Frau hat keinen Helm auf“. Ertappt und bloßgestellt, kontere ich im Vorbeifahren: „Du kannst ihn nur nicht sehen, das ist ein Zauberhelm“. Und leise für mich: „In die Stadt fahre ich eben „oben ohne“, du kleiner Klugscheißer“. Und bin über meine Reaktion selber überrascht – Ich schwächle. Der Wind, die Hitze und ich bekomme kaum Luft durch die verstopfte Nase. Meine Herzensfreundin weiß mir zu helfen und bietet mir ihren Windschatten an. Geht doch. Die Stadt rückt näher.

Die Sirene heult. Punkt zwölf Uhr. Gerade noch geschafft. Apothekenhochsaison. Eine Menschentraube bis weit vor die Tür. Ich bin die Letzte in der Reihe und hoffe auf Linderung. Eine junge Frau biegt um die Ecke, zieht flüchtige Blicke auf sich und stellt sich hinter mir in die Reihe. Ich spüre ihre Unruhe und lasse ihr den Vortritt. Die Schiebetür öffnet sich. Wir treten ein. Sie lässt den schweren Rucksack mit der Isomatte (auf Glasscherben lässt es sich schwer schlafen) und dem schlampig zusammengerollten Schlafsack auf den Boden fallen und atmet erleichtert auf.  Die Straße scheint zu ihrem Zuhause geworden zu sein. Sie fällt auf. Will auffallen. Punklook. Schwere Boots, zerzauste Haare mit einem leichten Rosastich, dazu ein kurzer Faltenrock, eine bauchfreie karierte Jacke und eine dicke Metallkette samt Schloss, die sie um ihre schmale Taille trägt. Als trenne diese den Oberkörper vom Unterkörper. Was gilt es zu schützen? Ihre Beine zittern und sie kann es kaum erwarten, bis sie an die Reihe kommt. Eine freundliche Apothekerin leert eine Flüssigkeit in ein Glas Wasser und schiebt es ihr mit den Worten zu: „Ich habe schon auf sie gewartet. Spät dran heute.“ Die junge Frau bedankt sich. Trinkt. Sie versucht ein Lächeln. Etliche Zähne fehlen. Zu lange schon im Methadon-Drogenersatzprogramm. Warum auch immer. Die nächsten Stunden werden sich für sie vermutlich leichter und weicher anfühlen. Ich schaue ihr nach und wünsche mir, dass sie in der rohen Welt da draußen nicht alleine ist. Und dass sie ein Dach überm Kopf hat, wenn sie ihren Schlafsack ausrollen wird. – „Sie wünschen?“ Meine Freundin und ich sitzen gut beschützt unterm Sonnenschirm und bestellen einen Tee. Ein junger Mann kommt bettelnd näher. „Ich brauche € 5,60 für die Notschlafstelle. Bitte!“ – Der Betrag mag stimmen oder nicht. Soviel kostet jedenfalls ein Kännchen Tee.




© Gerda Modera 2024-09-25

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Herausfordernd, Dunkel, Emotional, Traurig
Hashtags