von Jamal Tuschick
„Im Sommer 1921 bin ich einmal, in Kampen, unbemerkt einen langen Spaziergang hinter Ihnen hergegangen und habe mir ausgedacht, wie es wäre, wenn Sie mit mir sprächen.“ Adorno in einem Brief an Thomas Mann
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„Der Mensch weiß wohl um das Gute, auch wenn er es nicht tut.“ Hildegard von Bingen
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„Jenseits von Moskau waren Künstler eine Erfindung und Pferde real.“ Anton Tschechow
Die ersten Kampfhandlungen waren kaum alarmierend. Ab und zu mal ein Schusswechsel oder eine Detonation weit weg. Ein Viertel verlor seine Durchlässigkeit. Die Topografie wurde abenteuerlich. Zwei bewegten sich nach den Spielregeln der Liebe aufeinander zu. Alima tarnte ihre innere Unabhängigkeit mit religiösen Symbolen. Sie emanzipierte sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es gab keinen Himmel für ihre Höhenflüge. Alles musste sich heimlich vollziehen. Wie dann auch der Abschied.
Auf Mykonos endete die Europareise erst einmal in einem Lager. Ein dänischer One-World-Aktivist schleuste Alima und Said in die Freiheit. Said bezeichnet den Helfer als Passeur – Fährmann. Er wäre lieber nach London gegangen, aber Alima wollte nach Deutschland.
Alima und Said sitzen im Konferenzraum des Zauberkastens. Adem beschäftigt die syrischen Akademiker als Produktionshelfer. Etwas anderes hat er nicht für sie. Ab und zu verbringt der Chef eine Kaffeepause mit dem weltläufigen Paar, zur Erweiterung seines Horizonts.
Alima und Said sind viel zu höflich, um Adems Provinzialität beim Namen zu nennen. Said ist in London zur Schule gegangen. Er liebt den englischen Nebel und die Zauberstimmungen keltischer Landschaften. Er hat schon früh alles für vorläufig zu halten gelernt.
Adem mimt den guten Zuhörer. Said wirkt auf ihn nicht besonders unternehmungslustig. Alima ist die treibende Kraft. Sie prüft die Lage und guckt, was geht. Adem bemüht sich um einen weichen Übergang, in Anbetracht der Tatsache, dass Alima und Said weiterarbeiten müssen, während auf ihn nach dem Mittagessen ein Wassersportvergnügen wartet. Für seine Vorgänger wäre soviel Freiheit das Grauen gewesen. Sie waren mit all ihrer Kraft Betriebsmotoren. Ohne sie lief alles falsch. Sie wirkten mit schierer Präsenz. Adems Vater herrschte mit der Bereitschaft zum Verzicht und zur Selbstverausgabung. Die Selbstverleugnung ging bei ihm viel weiter als bei seinem selbstherrlichen Erzeuger.
© Jamal Tuschick 2024-04-30