von Waltraud Lehofer
Kuss hin oder her, der Frosch blieb Frosch, es gab kein Erlösungs- noch Verwandlungswunder. Ich duzte ihn, er sagte Frau Waltraud zu mir. Seine blauen Augen, eine entwaffnend kindlich naive Ehrlichkeit und ein rustikaler Charme verfehlten ihre Wirkung nicht, konnten den schlechten Start ins Leben aber nicht wett machen. Mit neun Jahren kam er zu Pflegeeltern, büchste mit sechzehn von dort aus und landete im Erziehungsheim. Das Jugendamt hatte ihm einen Betreuer zur Seite gestellt. Der antwortete auf meine Frage, wieso ein in vielerlei Hinsicht benachteiligter Mensch einem Unternehmer vermittelt wurde, der noch nichts vom Ende der Leibeigenschaft gehört hatte und ihn wie einen Knecht ausbeutete, lapidar: Weil wir ihn sonst nirgendwo unterbringen konnten! Er brauchte tatsächlich jede Menge Unterstützung. Du kannst nicht jeden Tag zehn Euro für die Jause ausgeben, wenn du nur 700 Euro im Monat verdienst, habe ich ihm vorgerechnet. Blauäugig erstaunt bedankte er sich: Frau Waltraud, das hab ich gar nicht gewusst, dass das so viel Geld ist und kaufte die Jause wie gehabt. Er sagte bitte Frau Waltraud und danke Frau Waltraud, das rührte mich. Ich legte mich ins Zeug, besänftigte Gläubiger, verhandelte Tilgungsraten neu, kaufte ihm teuren Wein ab, den er sich aufschwatzen hatte lassen, schrieb für ihn Bewerbungen und gab ihm Tipps, wie er mit Arbeitskollegen besser klarkommen könnte. Erst Jahre später erfuhr ich den wahren Grund seiner Entlassung aus der neuen Firma. Er hatte bei der Weihnachtsfeier im Promillenebel dem Chef die Faust in den Nacken gesetzt. Mit einundzwanzig wurde er zum ersten Mal Vater, zwei Jahre später zum zweiten Mal: Ich bin ein toter Mann sagte er. Eins konnte er nicht lassen, immer wieder einmal saufen gehen. Dass er unter Alkoholeinfluss auch gewalttätig wurde, tat ihm zwar nachträglich stets leid, aber nicht entschieden genug. Es ging bergab mit ihm. Wir kauften ihm den neuen Laptop ab, bezahlten damit seine Bankschulden, besorgten ihm eine Unterkunft und wünschten ihm alles Gute. Auf Wiedersehen Frau Waltraud hat er gesagt und danke. Wir hörten nur noch sporadisch von ihm, eher nichts Gutes. Jahre zogen ins Land und seine Tochter bei uns ein. Sie kannte ihren Vater nur aus einem Social Media Account. Nach einigen Gesprächen fand sie den Mut, seine Einladung anzunehmen. Reich beschenkt zurückgekehrt, erzählte sie uns das Märchen vom Froschkönig neu. Wundere dich nicht über meine Frau hat er ihr beim Eintreten in die überaus noble Stadtwohnung gesagt. Eines traurigen Tages kam eine einsame, sehr reife und hoffentlich weise Königin des Weges, sah den armen Frosch, verliebte sich augenblicklich in ihn, steckte ihn in teure Designerklamotten und ließ in fortan an ihrem Tischlein sitzen, aus ihrem goldenen Tellerlein essen, aus ihrem Becherlein trinken und in ihrem Bettlein schlafen. Sei achtsam mein Lieber, „Wer dir geholfen hat, als du in der Not warst, den sollst du hernach nicht verachten.“
© Waltraud Lehofer 2023-01-31