Kein Überleben ohne Prozente. 100%-ig.

Franz Brunner

von Franz Brunner

Story

Man ist gestraft genug, wenn man nicht lesen und schreiben kann. Wenn man allerdings das Prozentrechen verweigert, wird es schwer, in dieser Welt zu bestehen. Ich tue mir vergleichsweise leicht. Wie Sie sicher bemerkt haben, kann ich lesen und schreiben und mit dem Prozentrechnen habe ich auch keine Probleme. Bereits beim FrĂŒhstĂŒck mache ich, um sattelfest zu bleiben, die ersten RechenĂŒbungen. Egal, welchen Radiosender man frĂŒhmorgens einstellt, man kann auf jedem Kanal ĂŒben, denn mittlerweile sind sĂ€mtliche Frequenzen mit Rechenaufgaben durchseucht. Heute zum Beispiel, kurz vor sieben, lief es folgendermaßen ab:

Vor den Nachrichten zur vollen Stunde kommt als Vorwarnung, dass was schieflĂ€uft auf dieser Welt, ein Schwall an Peinlichkeit kaum zu ĂŒbertreffender Werbung. Die wollen natĂŒrlich was verkaufen und beginnen zunĂ€chst höchst erfolgreich damit, uns Konsumenten fĂŒr blöd zu verkaufen. Vermutlich wird es bald eine Statistik geben, dass neben dem Osterwochenende und dem Pfingstwochenende bald ein drittes zu den verkehrsreichsten dazukommt: das Prozentwochenende. Und auch da sollte man die Route ordentlich planen, um in keine Staus zu geraten.

Begonnen wird beim XXXLutz, weil’s dort Minus 77 % auf bestimmte Möbel gibt. Was dort schon vergriffen ist, könnte man eventuell noch beim Möbelix mit einem Abschlag von 70 % ergattern. BillaPLUS verspricht eine Einsparung von Minus 25 % auf Marmeladen, Honig und weitere leckere Aufstriche, da muss man einfach hin, um zu den Gewinnern zu gehören.

Hervis verspricht fröhlich, dass Wintersportartikel heute, und zwar nur heute, um 20 % weniger kosten und einzelne GerĂ€te gar um 50 % hergehen. HOFER verscherbelt FruchtsĂ€fte ebenfalls um 50 %, bei ADEG gibt’s einen Preisnachlass von 10 % auf alles, es ist dies der vorletzte Punkt auf der Prozent-Reise. Erst ganz am Ende der Tour geht’s, um keinesfalls die KĂŒhlkette der Schweinsschnitzel zu unterbrechen, zum Interspar, wohin ein Preisnachlass von 25 % auf sĂ€mtliches Frischfleisch lockt.

Noch bevor die Routenplanung kontrolliert und gegebenenfalls optimiert werden kann, fĂŒttern die Weltnachrichten um 07:00 das ohnehin schon strapazierte Konsumentenhirn mit weiteren wichtigen Prozentangaben:

Die Inflation in Venezuela ist auf einen Rekordwert von 2700 % gestiegen, die Impfquote in Österreich ist mit 74 % zu niedrig, 10 % der Österreicher besitzen 90 % des Vermögens und in Afghanistan sind 70 % der Kinder unterernĂ€hrt. Und das i-TĂŒpfelchen der Kurzmeldungen ist die Information, dass 94 % der Kerzen, die weltweit ĂŒber den Ladentisch wandern, von Frauen gekauft werden.

Doch wer glaubt, es jetzt endlich geschafft zu haben, der irrt. Der Wetterfrosch im Radio verkĂŒndet, dass es heute mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % Schnee oder Schneeregen geben wird.

Ich ergebe mich dem Schicksal, werfe meine SparplĂ€ne ĂŒber den Haufen und werde zu 90 % zuhause bleiben, wo ich mir erlaube, mich ungehemmt zu 100 % wohlzufĂŒhlen.

© Franz Brunner 2022-01-22

Hashtags