Keine Extrawurst für Politiker

Lilie

von Lilie

Story
Tirol

Mein Cousin Reinhard hatte seine Frau Petra auf ein Wochenende in einem Wellnesshotel bei Salzburg eingeladen. Die Bahnfahrt samt Sitzplatzreservierung wurde gleich mitgebucht. In der Nacht vor der Abreise bekam er eine Information der ÖBB, dass es wegen einer Mure zwischen Landeck und Ötztal Schienenersatzverkehr gäbe.

Am Bahnhof Feldkirch warteten viele Reisende, darunter ein bekannter Politiker. Bei der Einfahrt war der Zug beinahe voll besetzt. Reinhard musste erst die reservierten Plätze für sich reklamieren, die ihm nur widerwillig überlassen wurden. In Landeck stiegen alle Reisenden in Postbusse, um eng gedrängt nach Ötztal gekarrt zu werden. Petra war auf der Fahrt übel geworden. Endlich im Anschlusszug nach Salzburg begann erneut der Kampf um die reservierten Plätze.

Reinhard schrieb an das Wellnesshotel, sie mögen das Taxi eine Stunde später schicken. Entspannt lehnten sich die beiden zurück und lauschten der angeregten Konversation des Politikers mit seinem Gegenüber. In Innsbruck drängten nochmals viele Reisende in den Zug, versperrten dicht an dicht stehend alle Gänge.

Die Stimme aus dem Lautsprecher bat alle Reisenden ohne gültige Sitzplatzreservierung, den Zug zu verlassen. Eine Stunde später würde eine weitere Garnitur fahren. Sie könnten sich inzwischen einen Gutschein über 25 Euro an der Bahnhofskasse abholen. Etwa die Hälfte der Stehenden nahm das Angebot an.

Nach einer weiteren Viertelstunde kam die nächste Durchsage: „Aus Sicherheitsgründen können wir so nicht weiterfahren. Wir bitten nochmals alle Reisenden ohne Sitzplatzreservierung, auszusteigen. Ansonsten werden Security und Polizei sich einschalten.“

Die markante Stimme des Politikers: „Dieser Platz war frei, ich sitze hier schon seit Bregenz. Was kann ich dafür, wenn die Sitze nicht übers Internet reserviert werden konnten? Ich steige nicht aus. Ich habe eine gültige Fahrkarte“. Wie dumm, wenn man den Politiker kennt und genau weiß, dass er erst in Feldkirch zugestiegen ist. Reinhard und Petra amüsierten sich köstlich. Ein anderer Fahrgast rief: „Dann klebe ich mich halt an, das ist zurzeit ja in.“

Nach weiteren erfolglosen Aufrufen gingen eine Viertelstunde später Security-Leute, Bahnpersonal und Polizei zur Kontrolle durch den Zug. Nun wurde es dem Politiker zu viel. „In Zukunft reise ich nur noch mit der Westbahn.“ Missgelaunt packte er seinen Koffer und verließ gemeinsam mit den anderen bisher Widerstand leistenden den Zug. Endlich! Mit 90 Minuten Verspätung nahm der Railjet Fahrt auf. Dem Wellnesswochenende stand nichts mehr im Wege.



 


© Lilie 2023-06-17

Genres
Humor& Satire, Reise
Stimmung
Emotional, Komisch