Kindermund

Corinna Winter

von Corinna Winter

Story
Wien 2023

Kindermund tut Wahrheit kund, das habe ich oft gehört. Kannst du es mir erklären? Denn ich verstehe es nicht wirklich.

Obwohl ich einige Kinder erlebt habe. Denn in der Nähe meiner Bäckerei war eine Schule, sie ist immer noch da. Ein eigenartiges Konstrukt, in dem kleine Menschen stundenlang verschwinden und dann alle gleichzeitig wieder ausgespuckt werden.

Aber so seltsam dieses Gebäude ist, dort war immer etwas los. Und es ist besser als ein sogenanntes Bürogebäude, was immer das ist. Denn dort treiben sich nur Erwachsene herum. Glaub’s mir. Warum?

Weil Kinder neugierig sind und im Grunde ihres Herzens gut.

Viele Erwachsene auch, aber eben weit weniger. Und sie verbergen es besser.

Aber Kinder lächeln, wenn sie eine Katze sehen, rufen laut “Katze!” und machen ihre Freunde auf diese Katze aufmerksam.

Kinder wollen einen fast immer streicheln, nur leider haben sie fast nie Leckereien dabei. Dafür hat manch ein Kind schon mit mir den Inhalt seiner Jausenbox teilen wollen und mitunter habe ich die Apfelstücke und Chips gegessen. Froh war ich bei jedem Schinkenbrot, doch die waren rar.

Aber die Kinder spielten oft mit mir, egal, ob ich damals selbst noch ein Kind war oder vor kurzem bereits ein alter Straßenkater. Es war ein wenig Spaß im tristen Alltag.

Was fragst du? Warum ich hinke?

Mein linkes Hinterbein wurde mehrfach gebrochen und ist nur mäßig gut verheilt.

Wie das passiert ist?

Nun. Die meisten Kinder sind freundlich und wollen spielen. Aber nicht alle Kinder sind so. Manche wollen verletzen, oft weil sie selbst verletzt wurden.

Meine Krallen sind scharf, meine Zähne spitz. Aber ich bin nur ein Straßenkater. Ein Jäger, der einer Gruppe Jugendlicher vertraut hat und diesen Fehler beinahe mit dem Leben bezahlt hätte.

© Corinna Winter 2024-02-13

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional, Reflektierend, Traurig, Angespannt
Hashtags