Kindermund – nicht immer Gold im Mund

Emma Breuninger

von Emma Breuninger

Story

Ehe mein Sohn zwei Jahre alt wird fliege ich mit ihm gleich für mehrere Monate nach Deutschland. Meine Familie, all meine Verwandten, Freunde und Bekannten sollen meinen Goldschatz kennenlernen. Den langen Flug von Mexiko-Stadt nach Frankfurt überstehen wir beide gut.

Mit Opas orangefarbigem VW-Käfer, Jahrgang 1971 und mit Halbautomatik, fahren wir nun, meist zu dritt (Opa, Mutti, Kind) durch Deutschland, nach Österreich, Belgien und in die Niederlande, um möglichst alle zu besuchen. Es werden vier herrliche Monate.

Im Mai sind wir bei Henri und Natalia und ihren beiden Söhnen in Den Haag / Niederlande. Als ich im Sommer 1975 als Reiseleiterin in Sotschi (damals noch Sowjetunion) eingesetzt war, da war Henri mein Vorgesetzter. Er war in Moskau. Dort lernte er Natalia kennen. Die beiden konnten problemlos heiraten. Henri kam zwar aus einem „kapitalistischen“ Land, wurde aber nicht als Feind betrachtet. Darum beneide ich ihn. War es mir doch nicht vergönnt, meine georgische (und somit sowjetische) Liebe zu heiraten.

Es ist ein sehr warmer Maitag. Henri und die beiden Söhne, mein Vater, mein kleiner Sohn und ich fahren zu einem See. Hier gibt es einen herrlichen Sandstrand. Henri und Vater mieten ein Boot und paddeln auf dem See herum. Ich bleibe bei den Kindern. Die spielen am Strand. In unserer Nähe sitzen zwei ca. 8-jährige Jungen und bauen Sandburgen.

Mein Sohn spielt mit einem kleinen LKW sowjetischer Bauart, wirft Sand auf dessen Ladefläche und schiebt ihn dann in Richtung Straße. Ich schaue ihm nach. Er macht keine Anstellungen umzukehren. Also rufe ich ihm nach – auf Deutsch: „Schatz, nicht so weit weg, komm zurück.“ Er dreht um.

In diesem Moment sagt einer der 8-jährigen Jungen ganz laut: Heil Hitler.

Ich bin schockiert, erstarrt. Warum sagt der Junge das? Woher hat er das? Sicher nicht von den Eltern, eher von den Großeltern. Und wer weiß, was die Nazis damals diesen angetan haben. Es muss etwas Schlimmes gewesen sein, dass sie es noch auf die übernächste Generation übertragen.

Von nun an spreche ich nur noch spanisch mit meinem Sohn.

Henri und Vater kommen zurück. Ich erzähle den Vorfall meinem Vater. Er schaut mich traurig an und meint: „Damit müssen wir wohl noch lange leben müssen.“

Wie hatte Willy Brandt einst gesagt: „Deutschland ist ein schwieriges Vaterland.“

© Emma Breuninger 2021-04-10