von Andrea Weiss
Wir alle wissen es. Wir sind eine Wegwerfgesellschaft.
Dieses Wissen in Verbindung mit einer persönlichen Marotte führt dazu, dass ich nahezu NICHTS wegwerfe. Manch einer behauptet, ich sei dazu kaum fähig. Dabei geht es mir keinesfalls um den Besitz dieser Dinge – wie gern würde ich sie jemandem schenken, der Verwendung dafür hat! Aber Angebot und Nutzer für unser teilweise “spezielles” Angebot wie angebrochene Farbkübel und Holzreste zusammenzubringen ist schwieriger, als man denkt. Was wiederum dazu führt, dass der Keller unseres Häuschens überquillt mit Dingen, von denen ich oft nicht einmal mehr weiß, dass wir sie haben.
Das, was mir erinnerlich ist, versuche ich zu verwerten. Immer wieder freue ich mich, wenn aus übrig gebliebenen Baumaterialien Dekorationen für verschiedene Anlässe oder andere kleine nützliche Dinge werden. Die Patchworkdecke aus angesammelten Stoffresten ist allerdings seit geraumer Zeit in meiner Vorstellung deutlich größer als in der Realität. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wann immer etwas kaputt geht, bemühe ich mich um dessen Reparatur, anstatt es einfach und schnell zu entsorgen und zu ersetzen. So auch, als das seltsame Geräusch unserer Waschmaschine nicht mehr zu ignorieren war. Von der Entscheidung, ob die Reparatur rentabel wäre, entband uns der gerufene Fachmann – das Ersatzteil ist gar nicht mehr im Sortiment.
Glücklicherweise erfahren wir genau zum richtigen Zeitpunkt, dass bei einer Wohnungsauflösung in der Verwandtschaft eine Waschmaschine übrigbleibt. Beileibe kein Top-Modell, aber so gut wie neuwertig – und keiner will sie. Das Schicksal des Geräts, für den Fall, dass wir es nicht aufgenommen hätten, mag ich mir gar nicht vorstellen.
Ein neuer Begriff kommt mir zufällig unter: Kintsugi. Das für mich schön und geheimnisvoll klingende Wort steht für eine alte japanische Methode, gesprungene oder zerbrochene Keramik zu reparieren. Im Lauf der langen Tradition, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, entstand daraus eine Kunstform. Man begnügt sich nicht damit, lediglich die Funktionsfähigkeit des kaputtgegangenen Teils wieder herzustellen und den Makel der Reparatur zu verbergen. Vielmehr geht es darum, dem reparierten Stück durch sehr sorgfältige Handarbeit und die Verwendung von wertvollen Lacken, Gold- und Silberpigmenten an den Bruchlinien und Rissen eine neue Ästhetik zu verleihen. Der Wert wird dadurch im Vergleich zum ursprünglichen Stück weit gesteigert.
Damit kommt einerseits die dem Zen-Buddhismus nahe Philosophie des Wabi Sabi zum Tragen, in der das Unvollständige, Unperfekte (das aber mit Kintsugi seine Vollendung erfährt) zelebriert wird. Andererseits entspricht es dem Begriff des Upcycling, bei dem aus alten und/oder beschädigten Objekten etwas Neues entsteht. Und das ist gerade ziemlich modern.
Wie ich lese, ist Kintsugi durch eine Tiroler Restauratorin bereits in unserer Wegwerfgesellschaft angekommen.
© Andrea Weiss 2021-04-16