von Susanne Paulus
In dem kleinen Dorf in Niederösterreich, in dem ich meine frühe Kindheit erlebte, gab es ein alljährlich wiederkehrendes Highlight: den Kirtag. Stets an einem Sonntag im Spätherbst angesetzt, um einen der Namenstage der Schutzpatronin der Pfarrkirche, der Heiligen Margareta, herum, bot er für den Großteil der bäuerlichen Dorfbewohner die einzige und heiß ersehnte Möglichkeit für den vorweihnachtlichen Geschenke-Kauf, heutzutage „Shopping“ genannt. Entsprechend war der Zulauf. Nach der Sonntagsmesse strömten die Kirchgänger nahezu geschlossen zu den „Standeln“, die eines neben dem anderen auf dem Vorplatz der Kirche und die Dorfstraße entlang aufgestellt waren. Es wurde alles angeboten, was das Herz begehrte: von Kleidung, Schuhen, Hosenträgern, bunten Schürzen und geblümten Kopftüchern über Hausrat aller Art bis zu Unterwäsche und „Frauenzeugs“ wie Haarschmuck und Kosmetika. Auch „süße Verführungen“ lockten mit zu Pyramiden aufgestapelten Schaumrollen, mit Zuckerwatte, Schleckern und anderem Ungesunden.
Das Schönste, das Herrlichste, der Inhalt meiner geheimen Wünsche und Sehnsüchte war jedoch materialisiert im Spielzeug-Standel. Ein buntes, neonfarben strahlendes Bild voller Verheißungen. Die Sinneswahrnehmung von Kindern muss eine andere sein als die von Erwachsenen: Die grellen Farben, der Glanz und Glitzer, die Quietsch- und Sirenengeräusche der Spielsachen zogen mich magisch in ihren Bann. Je schriller, je kitschiger und qualitativ minderwertiger, umso anziehender. Pädagogisch wertvolles, umweltfreundliches und nachhaltiges Holzspielzeug hatte ich genügend zu Hause. Die Objekte meiner kirtäglichen Begierde waren die recyclingfeindlichen, ästhetisch anspruchslosen Plastikspielsachen. Rosa gekleidete Püppchen in pinkfarbenen Babybettchen, Armbänder, Halsketterl und Ringe mit bunt funkelnden Glassteinen oder ein Prinzessinnenschleier mit goldschimmerndem Krönchen drauf …
Angewidert von dem „Ramsch“, wie sie es nannte, zog mich meine Mutter weg von diesem paradiesischen Standel. Zu sehr war sie besorgt um die Entwicklung meines Geschmacks und Stilbewusstseins. Ihre Weihnachtseinkäufe wurden in der Stadt erledigt.
Vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete ich wehmütig das geschäftige Treiben auf der Straße und träumte von der kleinen Babypuppe mit Schlafaugen in der rüschenverzierten, mit Satinstoff bezogenen Pappwiege.
Mein Vater hob mich hoch und sagte: „Komm, wir gehen.“ Hand in Hand steuerten wir zielgerichtet auf das verpönte Spielzeugprachtstandel zu. Da standen wir nun beide mit glänzenden Augen. Als Bub hätte er den Kirtag auch geliebt, verriet er mir. Er ging in die Hocke, drückte mich an sich und flüsterte mir zu: „Such dir was Schönes aus, Mädel!“
Er wollte mir eine Freude bereiten, mich glücklich machen und lächeln sehen, vorbehalt- und bedingungslos. An diesen besonderen Liebesbeweis erinnere ich mich voll Dankbarkeit bis heute.
© Susanne Paulus 2022-04-27