Kleine Manu

Clara Nietz

von Clara Nietz

Story

Am nächsten Morgen wache ich noch vor meinem Wecker auf. Obwohl ich schnell eingeschlafen war, fühle ich mich unausgeruht und spüre die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen. Um mir weitere Unannehmlichkeit zu ersparen, schicke ich ein kurzes Stoßgebet an das Universum, das meine Mutter bitte noch schlafen solle. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist mit ihr den Einkaufszettel durchzugehen und mir anzuhören, wie unbequem die Schlafcouch doch ist. Leider wird das nicht passieren, deswegen biege ich gleich ins Bad ab, um dort eine lange Dusche zu nehmen und mich in aller Ruhe fertig zu machen. Komischerweise bleibt es ziemlich ruhig im Rest der Wohnung. Kein Klappern, kein Rascheln, kein umherschieben von Möbeln. Ich überlege noch meinen Morgen-Kaffee zu opfern und einfach zu gehen, doch die Abweichung von der Norm hält mich dazu an, wenigstens zu sehen ob alles in Ordnung ist und tschüss zu sagen.

„Guten Morgen Mama“, rufe ich etwas gespielt überschwänglich in den Flur.
Keine Antwort.
„Schläfst du noch Mama? Ich muss gleich los.“ diesmal antwortet ein leises klimpern, das klingt wie ein Löffel in einer Müslischüssel. Ich verdrehe die Augen, während ich um die Ecke Richtung Küche steuere.
„Mama, du kannst ruhig antworten, ich hätte schon noch ordentlich tschüss gesa-“ mir bleibt das letzte Wort im Hals stecken.

Vor mir am Esstisch sitzt ein kleines Mädchen, nicht älter als 6 oder 7 Jahre und schlürft genüsslich ihre Milch, die durch die Cornflakes ganz schokoladig geworden ist. Als sie mich ebenfalls bemerkt, stellt sie die Schüssel ab und schaut mich mit großen, braunen Augen an und lächelt. Ich brauche kurz um meine Fassung zu finden, und frage dann
„Wer bist du?“
„Ich bin Manu.“ wieder ein Lächeln.
„Und wie kommst du an meinen Esstisch?“
„Hab mich hingesetzt. Willst du auch Schoko Schipps Lina?“
„N-nein danke.“
Ich muss halluzinieren. Es gibt keine logische Erklärung dafür, warum ein wildfremdes Kind in meiner Küche sitzen sollte.
„Entschuldige mich kurz“, sage ich zu dem Mädchen und laufe Richtung Arbeitszimmer. Mit einem Ruck stoße ich die Tür auf, in der Hoffnung das meine Mutter vielleicht etwas mit dieser bizarren Begegnung zu tun hätte. Doch diese Hoffnung verblasst als ich weder sie noch ihr Gepäck im Zimmer finden kann.
Was in aller Welt ist hier los?
Habe ich mir auch eingebildet, dass sie gestern spontan vor meiner Tür stand?
Vorsichtig blicke ich um die Ecke in die Küche und beobachte das kleine Mädchen. Jetzt wo ich genauer darüber nachdenke, sieht sie meiner Mutter in gewisser Weise ähnlich. Die Farbe und Form ihrer Augen, die kleine aber breite Nase und das dunkelblond, dass sie hat, wenn sie ihre Haare lange nicht nach gefärbt hat. Hatte ich einen krass lebensechten Albtraum? Ich zwang mich, die Situation erst einmal zu verdrängen, ich war eindeutig nicht in der Verfassung zu verstehen was hier gerade geschah. Also nahm ich meine Tasche, verschloss leise die Tür hinter mir, und ging auf Arbeit, in der Hoffnung das alles und jeder in meiner Wohnung verschwunden wäre, wenn ich zurückkehrte.

© Clara Nietz 2024-08-13

Genres
Humor& Satire
Stimmung
Emotional, Challenging