Mal wieder keine Post. Bereits zum fünften Mal rennt Hannes heute zum Briefkasten. Doch egal wie oft er den kleinen Schlüssel durch das blaue Schlösschen dreht, er bleibt leer. Seit drei Wochen gestaltet sich dieses Trauerspiel nun schon so, erzählt er mit getrübter Stimme. Hoffnung ist trotzdem noch da, „was bleibt mir denn auch anderes übrig?“, fragt er mit leerem Blick.
Was er mit Hoffnung meint, wird schnell klar, wenn man den Laden verlässt und einen kurzen Blick von außen, auf die mit Mehlstaub beschlagene Fensterscheibe wirft.
„Wir suchen Auszubildende, dringend“, steht dort in geschnörkelter Schrift, umrandet von fünf Ausrufezeichen, auf die Fensterscheibe gemalt.
Bis heute gibt es keine einzige Bewerbung. „Keine einzige Bewerbung, das ist doch Wahnsinn. Noch vor zehn Jahren konnten wir uns vor Bewerbern kaum retten“, erinnert sich Hannes, während er trostbedürftig in Erinnerung schwelgt und auf den gegenüberliegenden Bahnhof blickt. „Was sollen denn die Pendler jetzt machen? Die anderen Bäcker finden ja auch niemanden.“
Hannes ist enttäuscht, enttäuscht von so vielem, aber vor allem von der Politik, betont er. „Die machen doch gar nichts mehr für uns. Corona war das eine, aber, dass wir keine Auszubildenden oder gar Fachverkäufer mehr finden, das zieht uns den Boden unter den Füßen weg. Hier hätte frühzeitig mehr unternommen werden müssen, das war absehbar“, mahnt er. Hannes Frau Maria ist seit einem Unfall vor zwei Jahren nur noch eingeschränkt arbeitsfähig. „Alleine halte ich das nicht mehr lange durch“ beklagt Hannes verzweifelt. „Alle wollen sie studieren. Das ist meiner Meinung nach kompletter Schwachsinn, wo sollen die denn alle mal arbeiten? Wir könnten sie jedenfalls dringend gebrauchen.“
Kinder, die den Laden übernehmen können, gibt es nicht, dabei hätten sie es sich so sehr gewünscht. „Es sollte nicht sein“, seufzt Hannes, während er seine Traurigkeit mit einem Schulterzucken zu kaschieren versucht. Doch Hannes würde das Steuer von Herzen auch an fremde Kapitäne übergeben. An solche die nicht Teil seiner Familie sind. An Menschen die diese Profession lieben, lieben wie er es tut. „Doch wie soll man etwas lieben, was man nicht kennt und wie soll man etwas kennen, was man nicht kennen kann, weil nicht mal das Kennen zur Debatte steht?“, fragt Hannes.
Wie gerne würde er in fünf Jahren die Türe hinter sich schließen und seine Bäckerei, die er schon in dritter Generation führt, in guten Händen wissen. Stand heute weiß er angesichts steigender Energie und Rohstoffpreise jedoch nicht mal, ob er die Bäckerei nächste Woche noch aufschließen können wird. Doch das ist ein anderes Thema. Feststeht allerdings schon jetzt: Hannes wird künftig kleinere Brötchen backen müssen.
© Pauline Brinkmann 2022-08-31