von Chipolina
Es ist Montag. Alles auf Anfang. MĂŒde und unwillig mache ich mich auf den zur Arbeit. Wie immer drĂ€ngen und stressen sich viele Leute in der U-Bahn. Ich bin immer froh, wieder aussteigen zu können. Am Weg zum BĂ€cker nehme ich unerwartet eine zarte, leise Stimme einer alten Dame wahr. Unsicher bittet sie mich um Hilfe. Sie ist einen Kopf kleiner als ich und ihre Figur wirkt zart und zerbrechlich. Ihre Stimme ist leise, ich bemerke, dass Ihre Augen trĂŒb und verschleiert sind. Sie versucht, mich anzusehen, gleichzeitig mit ihren HĂ€nden zu ertasten. Sie bittet mich, ihr beim Geld beheben behilflich zu sein, da sie sonst nicht einkaufen kann. Sofort hake ich sie bei mir unter und gehe langsam mit ihr zum nĂ€chsten Bankomat. Ich versichere ihr, dass sie bei mir in guten HĂ€nden ist. Beim Bankomat angekommen kramt sie ihre Geldbörse hervor, ertastet zitternd ihre Karte. Ich nehme vorsichtig ihre Hand, um sie auf das Zahlenfeld zu legen und sie tippt blind ein. Sie ist rĂŒhrend dankbar und wir gehen gemeinsam zurĂŒck zum BĂ€cker. Danach trennen sich unsere Wege. Ich hoffe still, dass diese liebenswĂŒrdige Dame niemals an falsche Personen gerĂ€t.
Am folgenden Montag sehe ich sie schon von der Ferne auf einer Bank vor dem BĂ€cker sitzen. Als sie meine Stimme hört, lĂ€chelt sie und greift nach meinen HĂ€nden. Ich halte ihre eine Weile und setze mich dann neben sie. Meine Hilfe braucht sie heute nicht. Aus ihrer Einkaufstasche holt sie einen StrauĂ Blumen hervor, ĂŒberreicht mir diesen und bedankt sich nochmals fĂŒr die Hilfe von letzter Woche. Sie wirkt so glĂŒcklich dabei, dass ich einfach nur gerĂŒhrt âDankeâ sage. Der erleichterte, glĂŒckliche Gesichtsausdruck und der sanfte HĂ€ndedruck dieser entzĂŒckenden, zerbrechlichen alten Dame sagen mehr als Worte je ausdrĂŒcken können. So bleiben wir noch eine Weile still sitzen, bis ich mich verabschiede, da ich zur Arbeit muss.
Von nun an sitzt sie jeden Montag wartend auf der Bank, ein StrauĂ Blumen lugt immer oben aus ihrer Einkaufstasche. Manchmal holen wir gemeinsam Geld vom Automaten, manchmal sitzen wir einfach nur fĂŒr eine Weile auf der Bank. Immer hĂ€lt sie meine HĂ€nde und mit jedem Mal erzĂ€hlt sie mir ein StĂŒck mehr von ihr und ich ihr von mir. Sie ist ĂŒber 90 Jahre alt und schlĂ€gt sich tapfer. Gelegentlich ist sie traurig, weil sie niemanden mehr hat. Es ist eine Last fĂŒr sie, so alt zu sein und den Alltag alleine bestreiten zu mĂŒssen. Umso mehr erfĂŒllt es mich, sie fĂŒr kurze Zeit ihre Einsamkeit vergessen zu lassen und sie durch mein ErzĂ€hlen ein wenig auf andere Gedanken bringen zu können. Diese liebevolle alte Dame habe ich in mein Herz geschlossen und so freue ich mich seither auf jeden Montag. Die wenige Zeit ist so voll von aufrichtiger Herzlichkeit und hinterlĂ€sst fĂŒr uns beide ein wunderbares GefĂŒhl. Es ist nur eine Kleinigkeit und doch bedeutet es fĂŒr diese entzĂŒckende alte Dame so viel. Ich wĂŒnsche uns beiden noch viele gemeinsame Momente dieser Art, die mit so viel Freude, Dankbarkeit und GĂŒte erfĂŒllt sind.
© Chipolina 2020-01-01