von Linnea
Grundsätzlich sind gartelnde Menschen stolz auf ihr Paradies und betrachten die Gartenschönheiten als ihr Werk bzw. ihren Lohn für geleistete Arbeit. Anerkennung und Bewunderung sind Balsam für sie, Kritik und Belehrung sind nur in begründeten Ausnahmefällen erlaubt. Besucher als Bewunderer des Paradieses sind aus den vorigen Gründen willkommen – solange sie sich an bestimmte Regeln halten.
Da wäre zuallererst das Gebot, die Gartenwege mit keinem einzigen Tritt zu verlassen. Ich muss allerdings erwähnen, dass dies für Besucher mit Gleichgewichtsproblemen oder überdurchschnittlicher Schuhgröße ein nahezu unmögliches Unterfangen darstellt, denn mit meiner fortschreitenden Gartenleidenschaft hatten die Rasenflächen zugunsten der Pflanzenzugänge kontinuierlich abgenommen. Bald waren auch die neuen Plätze vollgepflanzt. Es ist wie mit dem Kleiderschrank von Frauen, der überquillt, aber wenn es Frühling wird, muss etwas Neues her. Welcher Gärtner bringt es schon übers Herz, dafür alteingesessene Gartenbewohner zu opfern? Im Zuge der Platzgewinnung wurde, nachdem alle Rasenflächen umgewidmet waren, den breiten Wegen etwas abgezwackt, sodass sie zu kleinen Steigen, schrumpften. Also stehen Besucher mit großen Füßen unter meiner ganz besonderen Beobachtung, insbesondere seit meine Anemonen nach einem Besuch völlig plattgetreten waren. Ich sage mir ja immer, dass niemand für seine Schuhgröße verantwortlich sei, aber ich kann nicht anders, als jeden Besucher ab Schuhgröße 42 als potenziellen Anemonenmörder in Betracht zu ziehen.
Das zweite Gebot gilt dem Zweifel an meinen gärtnerischen Bemühungen bzw. deren Erfolg. Wenn ein Besucher mit abschätzigem Blick meine ganz besondere Rarität, die nach Jahren meiner höchsten Aufmerksamkeit und Zuwendung endlich zwei winzige, neue Blättchen geschoben hat, dies mit den Worten „Das schaut aber nicht gut aus…“ kommentiert, dann gerät mein Gärtnerblut in Wallung. Besucher, die meine Fehler in der Pflanzenbetreuung bloßlegen, nagen an meinem Gärtnerstolz. Sobald sich der Besuch entfernt hat, eile ich zu meinem Sorgenkind und tröste es mit dem Versprechen ihm eine noch liebevollere Pflege angedeihen zu lassen und mich selber damit, dass die Mehrzahl meiner Pflanzen doch wirklich gesund und wohlernährt wirke.
Im Allgemeinen komme ich Pflanzenwünschen nach, soweit es sich nicht um Einzelexemplare meines Gartens handelt. Das dritte Gebot betrifft demnach nur ganz dreiste Besucher, die beim Rundgang schon äußern, von welchen Pflanzen sie einen Ableger möchten oder sich die Schuhe binden, um heimlich ein Pflänzchen auszugraben. Solche Besucher verabschiede ich umgehend.
Zu guter Letzt: Verkneifen Sie es sich, von der Sortenvielfalt, Blütenfülle und den Raritäten der zuletzt besuchten Gärten zu schwärmen. Es würde mitten in mein Gärtnerherz treffen, ist mein Garten doch in meinen Augen der allerschönste.
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© Linnea 2021-04-11