von Fenja Harbke
Selbstverständlich kannte Dorika das altdeutsche Märchen von Hänsel und Gretel mit der Hexe im Knusperhäuschen. Das hielt sie aber nicht davon ab, jedes Jahr eines zu backen und bei sich in die Küche zu stellen, wo es bei jeder Teepause beknuspert wurde. Zwischen Schokolinsen und Gummibärchen zeigten sich schon einige Lücken. Und von den Marzipankartoffeln war nur noch eine einzige da.
Die Hexe beäugte das süße Konfekt schon, seit sie die leere Teetasse zurückgestellt hatte. Sie liebte ihr eigenes Hexenhaus, doch je länger sie auf ihr Backwerk starrte, desto mehr gefiel ihr der Gedanke, in einem Haus aus Zucker zu leben. Zumindest für einen Nachmittag.
Gerade spazierte ihr Kater Tatze zur Küche hinein und machte sich schmatzend und raschelnd über seinen Fressnapf her.
„Ich würde definitiv an meinem eigenen Haus herum knuspern“, gestand sie Tatze, der überhaupt nicht zuhörte. Ihr Blick fiel auf das übergroße Gummibärchen, das sie als Hexe vor die Lebkuchentür gesetzt hatte. War sie nicht selbst eine Hexe? Sie konnte ihre Tagträume doch einfach mit Magie wahr werden lassen.
Kurzerhand kletterte Dorika auf den Esstisch und setzte sich neben das Knusperhäuschen. Tatze war am Boden seines Napfes angekommen und schob ihn über die Fliesen.
„Komm her, Tatze. Na komm. Du bekommst auch ein Stück Marzipan.“
Das funktionierte. Er sprang neben sie und die Hexe schnappte ihn sich. Sich selbst zu verzaubern und den Kater zu vergessen war ein Anfängerfehler. Den machte man nur einmal. Dorika schloss konzentriert die Augen.
„Decrus mini mupp.“
Tatze maunzte verstört und Dorika hielt die Augen geschlossen, damit ihr nicht schwindelig wurde. Als sie sie wieder öffnete, waren sie und Tatze geschrumpft. Auf die Größe eines Gummibärchens.
Der Kater wehrte sich und Dorika ließ in frei, rief ihm aber noch zu, „Der Zauber lässt in einer Stunde wieder nach.“
Ein Weihnachtslied auf den Lippen spazierte sie zum Knusperhäuschen hinüber und hinterließ eine zierliche Fußspur im Puderzucker. Der würzige Duft war geradezu betörend. Mit beiden Händen brach Dorika die Marzipankartoffel aus dem Dach und setzte sich fröhlich schmatzend auf einen Dominostein.
Und wenn sie von all dem Zucker Bauchschmerzen bekam, dann hexte sie den einfach wieder weg.
© Fenja Harbke 2024-12-18