von Kerim Waller
Was können wir erwarten?
Ich saß wie so oft in einer Bar und trank Bier. Einer Bar, in der ich schon viele Male getrunken hatte. Nichts erschien mehr neu und aufregend. Das Personal war unmotiviert, so wie ich. Betrunken würden sie mit Sicherheit besser arbeiten als nüchtern, aber versucht das mal einem ,,Boss’’ klarzumachen. Gratis Bier für Angestellte wäre ein Slogan, mit dem man die Welt retten könnte. Die Frage ist bloß – will man das? Ich neige zum Glück immer weniger dazu, Teil der Weltuntergangsbefürworter zu sein. Heute, da mir bewusst wird, wie wenig es braucht, um alles in einem großen, roten Feuerball verrauchen zu lassen, kann ich schwer sarkastische Witze darüber machen. Damals jedoch…
Vielleicht lag es bloß an meiner Wahrnehmung, aber jeder schien an diesem Abend verwirrt zu sein. Pärchen in feinen Klamotten, die nach der Karte verlangten und dann Bier bestellten. Der weitverbreitete Gedanke, sich immer vorab schlau machen zu müssen. Internet, Social Media; der Kram hat uns die Sinne geraubt. Wo sind die Gespräche hin? Zufällig entstehende Unterhaltungen zwischen Fremden, die nichts weiter diskutieren als Was darf’s sein? — Was gibt’s denn? Der etwas zerstreute Mann mittleren Alters, sichtbar in seine Arbeit vertieft; die Gruppe jugendlicher Hipster, die unbedingt neben dem Kamin sitzen müssen, damit sie keinen Schnupfen bekommen; die Beschwerde über die fehlende Zitronenscheibe im Ingwertee; das Ende einer Ära. Ich hätte mir gewünscht vor dem Einschlafen ganz in Ruhe eine Zigarette zu rauchen und Warren Zevon im Radio zu hören, aber derartige Frequenzen sind schon lange nicht mehr existent.
Wochentags in einer Kneipe im sechsten oder siebten Wiener Bezirk zu verweilen fühlte sich an, wie Samstags in einer Kleinstadt – gar nicht. Es fühlte sich einfach nach nichts an. Zum Glück spielten sie gute Musik, somit konnte ich mich – zumindest für ein paar Momente – entspannen und mich in meine emotionale Steppdecke einwickeln. Schade nur, dass man damals in Kneipen nicht mehr rauchen durfte. Ich schaute nach rechts und sah zum tausendsten Mal das Poster Kafka im Kino – wann auch immer das gewesen sein soll – und besann mich für einen Augenblick. Wie viel Geld hatte ich hier schon zurückgelassen? Wie viele Herzen wurden hier gebrochen? Wer schrieb das Wort Poposex an die Wand in der Toilette? War ich das?
Zwischen den Zeilen wurde ich von dem Geräusch der Würfel abgelenkt, die pausenlos auf dem hölzernen Brettspiel hin und her geworfen wurden. Ich fand ja Menschen, die in einer Bar sitzen und Brettspiele spielen, immer doof – Schach ist die Ausnahme -, aber nach so viel negativen Gedanken und Ereignissen, wie ich sie in den Wochen zuvor erlebt hatte, machte es mich trotzdem ein wenig optimistisch, Menschen zu sehen, die noch Spaß haben konnten, ohne auf ihr Smartphone zu starren. Den Wunsch, in die Partie einzusteigen, konnte ich mir allerdings mit ziemlicher Sicherheit in die Haare schmieren. Ob die wohl um Geld würfeln?
© Kerim Waller 2022-03-17