Kommenden Dingen ins Auge sehen

Annemarie Baumgarten

von Annemarie Baumgarten

Story
Berlin 1996 – 1997

Frank darf freitags und samstags bei mir im Fernsehen Fußball schauen. Das ist gemütlicher als im Gemeinschaftsraum. Es sind durchaus nicht alle Kinder Rasenballfans. Da wird immer gemeinsam aus dem Programm ausgewählt. Am Wochenende darf der bald 12-jähre auch mal etwas länger aufbleiben. Bei uns war früher noch sonnabends Schule und nix mit ausschlafen. Weihnachten und Jahreswechsel 1996/97 hat Frank mit Ralf mitgebrachte Videos über frühere schöne Spiele sehen dürfen und sich sehr gefreut, von meinem Schwager wieder dazu eingeladen worden zu sein.

Thomas blüht nach überstandener Krankheit immer mehr auf. Er lernt gut, hat eine ganz leichte Auffassungsgabe und wird durch sichtbare Erfolge selbstbewusster. Die später in der Schulzeit erfolgende Unterrichtung über Komponisten und ihre Werke war für uns kein Problem. Ich bin ein großer Fan von Peter Schreier und habe viele CDs und Schallplatten mit klassischer Musik im Haus. Meinen beiden Jungs habe ich auch allmählich bisschen Hauswirtschaft und Kochen beigebracht, wie ich es schon von meiner Schwester lernen durfte. Kartoffeln schälen, Gemüse putzen, Ei und Schnitzel braten … Das zu können, kann nie schaden, falls die zukünftige Frau verhindert ist.

Mir geht es zusehends nur noch mittelprächtig. Für die Urlaubsplanung habe ich Max überredet, 1997 mal in den Winterferien mit der Familie zu verreisen. Lange wurde mir immer wieder zugeredet, mich mal richtig durchchecken zu lassen. Ich will nun für den Beginn der Sommerferien einen Arzttermin vereinbaren. Das findet Max gut und ist einverstanden, seinen Urlaub früher als sonst zu nehmen, damit er in den großen Ferien präsent ist. Natürlich braucht das, was vielleicht auf mich zukommt, viel Mut. Wäre ich 1996 schon mit aller Konsequenz auf die Suche nach einem guten Doktor gegangen, hätte mir vielleicht jemand meinen lieben Jungen vor der Nase weggeschnappt. Ich suche das Berliner Telefonbuch nach meinen Schulfreunden ab. Steve und Thoralf wollten doch Medizin studieren. Wir haben uns ewig nicht gesehen und nichts voneinander gehört. Thoralf finde ich nicht bei den aufgeführten Arztpraxen, Steve schon. Ich lasse mir von der Sprechstundenhilfe einen Termin geben. Als dieser näher rückt, spreche ich mit meinem Jungen, der schon ziemlich verständig ist. Tom möchte natürlich auch, dass es mir bald besser geht. Er will jeden Tag für mich beten. Mit Doris habe ich vorab verschiedene Dinge geklärt. Steve begrüßt mich herzlich in der Sprechstunde: „Hallo Pitti, was machst du denn hier?“ Wir haben uns sofort wiedererkannt. Steve denkt, ich wolle vielleicht ein Klassentreffen organisieren. Wir plaudern einige Minuten. Dann sage ich, mein Besuch hat einen ernsteren Hintergrund. Ja, in das Bestellbuch habe er heute nicht geschaut. Ich frage nach Thoralf, der in der Schulzeit bei den jungen Sanitätern war. Sie begann in der Tat zusammen das Medizinstudium. Thoralf brach es im Gegensatz zu Steve bald wieder ab. Wie ich und andere kann er kein Blut sehen. Er sattelte auf Masseur um und hilft damit auch anderen Menschen.


© Annemarie Baumgarten 2024-12-07

Genres
Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Herausfordernd, Informativ, Angespannt