von Joana Oppermann
Irgendetwas fühlt sich anders an, fühlt sich falsch an. Mein Gehirn ist wie in Watte gepackt. In meinem Kopf nichts als Watte. Dumpfes Pochen. Stechender Schmerz. Meine Gedanken unter dichtem Nebel erstickt und trotzdem hellwach. Sie rasen wie Blitze durch mein Gehirn, fließen, kriechen wie dickflüssiger Sirup. Tropfen. Kleben. Helium in der Lunge, Stein in den Gliedmaßen – ich schwebe, ich falle. Alles gleichzeitig. Meine Gedankenstränge verknoten sich zu einem Knäuel. Egal an welchem Faden ich versuche, zu ziehen, sie scheinen sich nur noch fester miteinander zu verweben. Die Zweifel haben Widerhaken. Lassen nicht los. Beißen sich fest.
Ich habe diese böse Vorahnung, dieses kribbelnde Bauchgefühl. Tausend Ameisen auf meiner Haut und doppelt so viele Motten im Bauch. Die Intuition, dass gleich etwas Schlimmes passieren wird. Ich bin in Gefahr. Adrenalin. Ich fürchte mich, doch wovor fürchte ich mich? Alles dreht sich ein bisschen zu schnell. Gegen den Uhrzeigersinn. Was ist, wenn ich jetzt ohnmächtig werde? Dann bin ich fremden Menschen hilflos ausgeliefert. Wie peinlich wäre das bitte. Würde jemand versuchen, mich aufzufangen? Nein. Niemand würde mir helfen. Sie würden mich ignorieren oder schlimmer noch: mich auslachen. Alle hassen mich. Alle finden mich komisch. Und sie haben gute Gründe dafür, denn an mir ist nichts richtig, alles falsch. Richtig falsch. Ich bin unsichtbar, trotzdem beobachten sie mich, überwachen jeden meiner Schritte, beurteilen mich, verurteilen mich. Oh Gott, wenn jetzt jemand meine Gedanken lesen könnte … Moment, das kann nicht passieren, oder? Ich bin dumm. So dumm. Dumm und peinlich.
Ich bin mit Sicherheit krank. Gesund bin ich jedenfalls nicht, das kann gar nicht sein. Vielleicht habe ich einen Gehirntumor. Oder Blutkrebs. Hey, was soll das? Ich hab ja nicht einmal Symptome. Abgesehen von dem Herzrasen. Und der Übelkeit. Und der Atemnot. Und der Tatsache, dass gerade die ganze Welt ins Wanken gerät. Nein, mir gehts doch gut! Noch. Noch geht es mir gut. Das kann sich blitzschnell ändern. Was ist, wenn heute mein letzter Tag auf dieser Erde ist? Was ist, wenn ich heute sterbe? Was ist, wenn? Jetzt. Jetzt ist der Moment gekommen. Nein, doch nicht. Wie atmet man nochmal? Sollte das nicht eigentlich automatisch funktionieren? Hilfe. Adrenalin. Kontrollverlust. Muss mich bewegen, aber kann nicht. Das ist der Anfang vom Ende.
Wenn es gut läuft, habe ich noch ungefähr 60 Jahre. Wenn es gut läuft. Was nicht unbedingt der Fall sein muss, denn in diesen 60 Jahren kann viel passieren. Nur noch 60 Geburtstage. Nur 60 Weihnachten. 60 Sommer. Ich muss die Zeit nutzen, die mir bleibt. Carpe diem oder so. Darf mein Leben nicht verschwenden, denn es ist doch so wertvoll. Das sagt man mir ständig und das, obwohl ich vollkommen wertlos bin. So viel Druck. Das Leben zerquetscht mich unter seinen schweren Stiefeln wie einen Käfer, zerbricht meinen hart erarbeiteten Panzer. Muss was tun, aber kann nicht. Es lähmt mich. Leben macht mir Angst. Sterben macht mir Angst. Existenzangst. Todesangst.
Meine Fingernägel graben sich in meine Handflächen und hinterlassen rot leuchtende Halbmonde in meiner Haut. Der Schmerz bringt mich zurück in die Gegenwart. In das Hier und Jetzt. Ich muss hier raus. Raus aus meinem Kopf. Will mich schälen aus dieser organischen Hülle. Bitte. Ich will die Gedanken zum Schweigen bringen, mich betäuben. Warum kann ich nicht aufhören, zu denken?
© Joana Oppermann 2024-08-31