Kornblumenblau

Tatjana Weisenburger

von Tatjana Weisenburger

Story

Dieses ohrenbetäubende Geräusch, wenn die Eisenbahnräder mit voller Geschwindigkeit die Schienen entlang galoppieren. Es ist so laut, weil der Waggon nicht geschlossen ist. Die Schiebetür ist einen Meter weit auf. Gibt es überhaupt eine Tür? Es erinnert mich an diese Westernfilme, wo der Protagonist sich zur richtigen Zeit aus dem Waggon schmeißt. In den Waggon fällt kein Licht. Alles ist schwarz, vor allem bei dem Kontrast zu dem gleißenden Sonnenlicht draußen. Ich weiß, dass ich nicht allein bin, aber sie alle verschmelzen in der Dunkelheit des Waggons. Draußen sehe ich Felder vorbeifliegen. Felder voller trockener Ähren. Es fühlt sich an, als ob wir rasant an der Welt draußen vorbeifahren, aber die Zeit, die wir in diesem Waggon verbringen, zieht sich gleichzeitig nur zäh. Es ist stickig und heiß, ich ziehe an meinem Kragen, aber der steife Kragen meiner Uniform lässt sich kaum dehnen. 

Der Kommandant würde mich lynchen, würde er sehen, dass mir die Hitze in dem Waggon so zusetzt. Ich habe aber keinen Kommandanten mehr. 

Wie viele Felder müssen wir noch passieren, bis sich die Landschaft verändert? Wann sehen wir endlich die Berge in der Ferne? Riechen die frische Bergluft? Wann sind wir da? Ist sie noch da? 

Es ist zwei Jahre her. Sie hat versprochen, auf mich zu warten. Trotzdem sind zwei Jahre eine lange Zeit. Vor allem, wenn niemand weiß, ob und wann es ein Wiedersehen gibt. Und doch hofft man darauf, bis jemand kommt und einem mitteilt, dass es kein Wiedersehen geben wird. 

Hat er sie früher erreicht? War sein Zug schneller? Hat er ihr gesagt, ich wäre gefallen? Oder gibt es ihn auch nicht mehr, wie meinen Kommandanten?

Vor meinem inneren Auge spiele ich meine Schritte immer wieder ab: Sobald der Zug hält, steige ich die Treppen zum Bahnsteig hinab. Ich sehe jeden einzelnen Schritt vor mir. Ich steige einfach runter, wie immer. Denn das sind die ersten Schritte in die Freiheit. Und zu ihr. Es ist so heiß, ich kann hier kaum atmen. Ihr Kornblumenkleid. Der Himmel hat die gleiche Farbe wie ihr Kleid. Und ich fragte mich schon, woran er mich erinnert. Würde sie jetzt in einem dieser Felder stehen, würde ich sie nicht vom Himmel unterscheiden können. Nur ihre Haare, ihre wunderschönen… Die Luft wird gefühlt noch heißer, ich kann nicht mehr. Das Atmen fällt mir zu schwer. Ich spüre, wie mir die Beine wegsacken. Ich glaube, ich falle in Ohnmacht. Ein Kerl von einsachtzig und fällt in Ohnmacht, die Jungs werden mich auslachen. Ich höre das Rattern der Räder nicht mehr, alle Geräusche sind irgendwie dumpf. Ich spüre eine Hand, die versucht, mich am Kragen hochzuhalten:

„Verdammt! Dein Verband ist durchblutet! Nein, halt durch! Wir brauchen nur noch eine Stunde, bis wir dich verarzten lassen können!“

Ich kann nicht mehr warten. Ich kann nicht antworten. Ich kriege keine Luft. Es ist so heiß. 

Vielleicht wache ich in einer Stunde wieder auf. 

Der Himmel ist so kornblumenblau.

© Tatjana Weisenburger 2025-06-16

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Emotional