von fraufranziska
Der Geruch des Körpers weht noch vor ihm in die Klasse, der Geruch nach einer alten Flasche Weißwein und der Verzweiflung über das Leben. Mit dem Erlebten zurechtzukommen, den Erfahrungen von jedem Tag, dem Bewusstsein, so viel tun zu müssen und doch so wenig tun zu können.
Schwerfällig setzt sich der Körper neben mich und schnauft ob der vielen Stufen hinter ihm, der vielen Körper vor ihm, ob des Tages, der zwischen ihm und der nächsten Flasche am Abend liegt.
Die kleinen Körper vor uns schauen verschreckt. Der Körper hinten rechts, der alles ganz richtig machen will und deshalb immer viel zu lange braucht; der Körper ganz vorne, mit dem Pfannkuchengesicht, der so herzhaft und ganzheitlich lachen kann, dass man glaubt, ein Geschenk erhalten zu haben, wenn man ihm dabei zuschaut. Der Körper vorne rechts, der erst ganz kurz in Österreich ist und so gut wie nichts von dem versteht, was den ganzen Tag gesprochen wird. Und dennoch permanent für das Fehlen der Aufgaben gescholten wird.
Und der Körper in der Mitte links, der in einer WG wohnt und den Namen seiner Mama nicht kennt.
In den Pausen sprudeln diese Körper mit 75 weiteren über und dürfen doch nicht diese Anspannung en ausleben, da durch Regeln unterbunden. Kein Laufen, kein Schreien, kein Spielen. Die Fenster geschlossen und so wachsen diese 100 Körper bald zu einem großen wabernden Ganzen zusammen, pulsierendes Rot gemischt mit Angst, Frust, Schmach, Macht und Verzweiflung.
Läuten die Glocken am Tagesende, platzt dieses Eins wieder in viele auf. Die Körper, die sich nach der Schule zum Verdreschen verabreden, weil die Anspannung doch noch raus muss, die Körper, die versuchen unsichtbar zu sein, um nicht aufzufallen, die Körper, die endlich wieder lächeln dürfen, weil Strengsein steht in der Dienstbeschreibung und eben der Körper, dessen zittrige Hand nach dem Korkenzieher greift, um den verflossenen Tag zu verdauen und Mut für den kommenden zu sammeln, mit dem sanften Weichzeichnungsfilter des Vergessens.
© fraufranziska 2019-09-15