von Jamal Tuschick
Malia und ihr Meister – Zwischen Ekstase und Katharsis
Sein Gesicht hält dem erdgeschichtlichen Budenzauber stand, der in dem frühen Spätwestern One Eyed Jack 1961 als Kulisse herangezogen wurde – all die Tafelberge, Kegel, Dolmen, Gipfel, Canyons, Felsreliefs, säulenförmige Mammutsukkulenten, Dünen, Kämme und Grate – sowie der kalifornisch-pazifische Brandungsschick unter einem dramatischen Himmel. Die Oberflächen halten lange Betrachtungen aus. Marlon Brando, der die Kamera als Schauspieler-Regisseur zu seinem willfährigen Spiegel machte, wusste, dass sein Gesicht dem Raum ebenbürtig war. Malia fand, dass ihr Geliebter und Sensei Brando in seiner Prachtzeit zum Verwechseln ähnlich sah. Malia und Agarvain waren schon lange ein Paar, wirkten aber auf ein beliebiges Publikum wie im Tunnel des leidenschaftlichen Anfangs. Ritual. Sinnlichkeit. Sprachmacht – Sie spielten Spiele, doch nannten sie es nicht so, um die Geisterbahneffekte nicht in der Konsensual-Optik verblassen zu lassen. Ich springe in eine Szene; eben waren sie im Kino gewesen, nun heizten sie sich gegenseitig auf. Agarvain ging voran, und Malia folgte ihm – ohne Frage, ohne Eile, beinah ohne etwas am Leib. Die Wendeltreppe ächzte wie in einem Edgar-Wallace-Schwarzweiß-Straßenfeger. Sie war schmal, schwarz von Jahrhunderten, und sie führte in eine brunnendunkle Katakombe, die mehr versprach als ein TV-Gruseln. Ederthal war voller Gothic-Spots. Schließlich war hier im Mittelalter Weltpolitik gemacht worden. Es gab jede Menge heruntergekommene Herrschaftsarchitektur.
Malia vibrierte vor energetischer Spannung. Agarvain führte sie in eine faszinierende Welt, in der Qi, Erotik, geistige Entwicklung und cineastische Reflexionen ineinandergriffen wie die Spiralstufen einer kosmischen Wendeltreppe. Mit seiner Priesterstimme sagte Agravain:
„Du kämpfst mit Eifer, Malia. Du studierst mit Ernst. Und du begehrst inbrünstig. Das ist gut.“
Sie wagte kaum zu atmen.
„Aber du hältst noch immer etwas zurück. Du willst mich. Nicht um meinetwillen, sondern um dich in deiner Sehnsucht zu vollenden. Das ist kein Verbrechen. Aber mich kriegst du so nicht. Wenn du mich ganz willst, muss dein Wille zur Verbesserung deiner Qi-Fähigkeiten absolut sein.“
Malia bebte. Sie wollte widersprechen. Widersprechen und sich dabei anlehnen. Agarvain bewegte sich mit der Selbstverständlichkeit eines Mannes, der sich nicht nimmt, was er will, sondern dem gegeben wird, was er will. Er forderte nicht. Er verwandelte.
„Wenn du willst, dass ich dich führe, dann darfst du nichts zurückhalten. Nicht einmal deinen Wunsch, mir zu gehören.“
Sie nickte kaum sichtbar.
„Ich halte nichts zurück“, versprach sie flüsternd wenigstens zum fünfzigsten Mal. Dies war eine Schlüsselpassage.
„Dann steh auf.“
Sie tat es. Ihr Körper entfaltete sich aus der Sitzhaltung. Das Tuch glitt von ihren Hüften, sank zu Boden. Sie stand nun vor ihm, nackt und aufrecht. Unbekümmert zeigestolz.
„Sag mir, Malia“, fragte Agravain. „Was suchst du wirklich?“
Sie antwortete nicht gleich. Der Drang, ihm zu gefallen, kämpfte gegen die Wahrheit in ihr. Und schließlich, mit einem fast tränenhellen Ton, sagte sie:
„Ich will, dass du mein Innerstes formst. Nicht nur mein Tun, nicht nur meinen Körper – sondern mein Sein. Ich will, dass du mich durchdringst mit deiner Wahrheit. Dass ich zu einem Gefäß werde, das deine Stärke trägt.“
*
Seine Hände erkundeten sie mit derselben Klarheit, mit der er ihre Techniken korrigierte. Da war kein Zögern, nur Wille.
„Befreie dich von überflüssiger Spannung“, murmelte er, während seine Finger ihre Taille umfassten. „Du weißt, wie ich dich am liebsten habe.“
„Oh, ja, und ich liebe es auch … so“, hauchte sie.
Seine Zunge strich über ihren Hals. Sie erschauderte.
P.S.
Zur Handlung des Western. Im Prolog des Geschehens vollzieht sich ein Verrat unter nordamerikanischen Verbrechern in Mexiko. Der Verräter reitet mit der Beute direkt in ein neues Leben als Sheriff-Spießer. Der Verratende entkommt nach fünf Jahren einer Hafthölle und kennt nur noch einen Daseinsgrund.
„Der Hass hatte ihm geholfen, zu überleben.“
Brando spielt den entlaufenen Sträfling Rio auf der Suche nach einem Mann, den er einst Dad nannte und von dem er Kid genannt wurde. Er findet den väterlichen Feind schließlich in der Rolle des Gemeindevorstands von Monterey. Dad Longworth übt die Polizeigewalt in der Manier eines Bürgermeisters aus und erscheint seiner Frau und einer Stieftochter als Patriarch, dem das Wunder einer vollständigen Verwandlung gelang. Karl Malden spielt den Spießbürger, der für seine Gewaltlust sardonisch legale Ziele ins Auge fasst. Brandos Wut auf das Establishment tobt sich in Dad Longworth aus. Der Regisseur zeigt den größten Kriminellen weit und breit in der Maske des Gesetzeshüters als einen Ausbund der Obszönität. Etwa, wenn Longworth einen Betrunkenen heimwärts tritt und seinen Sadismus als autoritäre Fürsorge tarnt. Die Kamera kassiert den unkontrollierbaren Moment der Entladung und friert die im sadistischen Vergnügen schwelgende Physiognomie für die Ewigkeit ein.
Brando zeigt, wie es Longworth im Kreis der Familie schmeckt. Das schlechte Gewissen verkehrt sich im guten Appetit. Man muss sich nur einen von John Ford dirigierten John Wayne zur selben Zeit vorstellen, um zu begreifen, wie souverän Brando ist. Ich frage mich, wie der Film auf sein Publikum Anfang der 1960er Jahre gewirkt hat. Die Modernität von damals gibt sich manchmal noch zu erkennen. Als Repräsentant der Vergangenheit zieht Longworth in den psychologischen Schusswechseln den Kürzeren nicht nur gegen Rio, sondern auch gegen seine Stieftochter, die von einem Beziehungsgeflecht gefangen genommen wird. Drei Jahre vor ihrem Tod spielt Pina Pellicer Louisa als eine Frau, die Rios Berechnungen kontern kann.
© Jamal Tuschick 2025-04-25