Krankenschwester vs. Oberarzt

„Das war schrecklich“, dachte Lara und wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln. Gerade hatte sie ihrem Patienten den Verband um sein entzündetes Bein gewechselt. Und obwohl sie ihm das stärkste Schmerzmittel gegeben hatte, das sie kannte, hatte er wieder vor Schmerzen geweint. Irgendwann fühlte sie sich, wie ein Folterknecht.

„Alles in Ordnung?“ Dr. Bergmann, einer der Oberärzte, tippte ihr auf die Schulter. Lara knipste ihr Lächeln an und wollte ihm schon versichern, dass alles gut sei. Dann hielt sie inne.

„Ich habe einen Patienten, der furchtbare Schmerzen hat…“, begann sie.

„Der Dekubitus-Patient? Ja, unschöne Geschichte. Aber die Behandlung wird schon noch anschlagen“, erwiderte er.

„Die Behandlung schlägt seit zwei Wochen nicht an! Wäre es nicht langsam an der Zeit, etwas anderes zu probieren?“, platzte Lara heraus. Dr. Bergmann runzelte die Stirn. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass seine Anweisungen hinterfragt wurden.

„Nein“, sagte er knapp. Lara zuckte zusammen und öffnete den Mund, um eine Entschuldigung zu stammeln. Aber dann tauchte das schmerzverzerrte Gesicht ihres Patienten vor ihrem inneren Auge auf und sie straffte die Schultern.

„Haben Sie schon mal einem Dekubitus-Patienten den Verband gewechselt?“, fragte sie beiläufig.

„Solche Tätigkeiten gehören nicht zu meinem Aufgabenbereich“, erwiderte Dr. Bergmann ungehalten.

„Verstehe. Vielleicht sollten Sie in dem Fall eine Ausnahme machen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob Ihr Ansatz wirksam ist“, erwiderte Lara und hielt den Atem an.

„So lehrreich dies bestimmt wäre – für solche Dinge habe ich keine Zeit.“ Dr. Bergmann runzelte die Stirn und eine leise Stimme in Laras Hinterkopf warnte sie, es nicht zu weit zu treiben. Wenn sie sich den Oberarzt zum Feind machte, konnte ihre Zeit im Krankenhaus schneller zu Ende gehen, als ihr lieb war.

„Ich bin Krankenschwester und kein Henker“, sagte sie leise.

„Das ist gut zu wissen“, erwiderte Dr. Bergmann und musterte die junge Frau verwirrt an.

„Finde ich auch. Dann verstehen Sie sicher, dass ich meinen Patienten nicht mehr jeden Tag mit einer Behandlung quälen werde, die für ihn die reine Folter ist. Es ist offensichtlich, dass der aktuelle Ansatz nicht funktioniert, sonst wäre die Wunde längst vernarbt“, fuhr Lara fort. Dr. Bergmann verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete sie finster.

Eingeschüchtert zog sie den Kopf ein. Was machte sie nur? Er war seit Jahren Oberarzt, während sie erst vor wenigen Monaten ihre Ausbildung beendet hatte.Aber ihr Patient war zu schwach, um für sich selbst zu kämpfen. Also musste sie das für ihn übernehmen.

„Ändern Sie die Behandlung oder Sie können den Verband ab morgen selbst wechseln!“ Mit diesen Worten drehte Lara sich um und marschierte zum Schwesternzimmer.