von Anatolie
Mein RĂŒckflug war nach drei Urlaubswochen fĂ€llig, Paula musste allerdings schon etwas frĂŒher heim. So ergab es sich, dass wir uns bei ihrer Abreise auf Santorin trennten und ich mit meinem neuen Freund allein weiterzog. Haris stammte aus der Stadt Sitia im östlichsten Winkel Kretas. Dorthin nahm er mich allerdings nicht mit. Er wusste eine bessere Möglichkeit um unsere letzten Tage besonders intensiv ausklingen zu lassen. Einer seiner Freunde studierte in der Hauptstadt Heraklion, und den Sommer ĂŒber stand seine Bleibe dort leer. Ein perfektes Liebesnest fĂŒr uns! Nach ca. vier Stunden erreichten wir den Hafen von Heraklion. Ein feuchtheiĂer Dampf, der die NĂ€he des afrikanischen Kontinents erahnen lieĂ, legte sich wie warmes Blei um meine Glieder. Gewaltige Massen drĂ€ngelten sich um die Anlegestelle, stinkende Abgase vermischten sich mit schwerer Seetangluft. Es herrschte ein emsiges Treiben von Frachtfahrzeugen und PKWs aus dem Schiff und wieder in seinen Bauch hinein, begleitet von hupenden Taxis, die auf neue Kundschaft hofften. In der Ferne zeichnete sich die imposante Silhouette des Giouchtas-Berges ab, wo sich, laut griechischer Mythologie, Göttervater Zeus zur letzten Ruhe gesetzt haben soll.
Bei der nahen Buszentrale warteten wir auf den WohnungsschlĂŒssel seines Freundes. Auf Kreta gab es einfache Lösungen fĂŒr die Beschaffung vergessener oder dringend benötigter GegenstĂ€nde: man gab sie dem nĂ€chsten Busfahrer mit auf den Weg.
In dieser recht einfachen Studentenbude lebten wir blind und töricht in den Tag hinein, jeden verbleibenden Augenblick unserer jungen Zweisamkeit auskostend. DrauĂen die drĂŒckende Hitze ĂŒber den DĂ€chern, drinnen das Surren der Ventilatoren. Besonders einprĂ€gsam habe ich auch den bunten Obst- und GewĂŒrzbazar in der NĂ€he des Hauptplatzes in Erinnerung. Und leckere kretische Gyros, welche wegen ihrer doppelten GröĂe und dem feinen Joghurt-Topping wirklich sehr regional und speziell waren.
Es kam der Tag meiner Abreise und auch mein Freund kehrte zu seinem Heimatort ins Haus seiner Eltern zurĂŒck. Bei der Bushaltestelle hielten wir uns noch lange umschlungen, so lange bis der Buschauffeur mit einem ungeduldigen „TĂŒt TĂŒt!“ zur Abfahrt mahnte. âNot all of me is going back to Austria“, sagte ich unter TrĂ€nen. âAnd not all of me is staying here on Crete“.
Wir wollten einander wiedersehen, vielleicht sogar schon bald.
Ich nahm das nĂ€chste Nachtschiff nach Athen und anschlieĂend fuhr ich mit dem Zug den langen Weg nach Thessaloniki zurĂŒck, wo der Flieger in die Heimat auf mich wartete. Nicht viel Erbauliches wĂŒrde dort auf mich warten. Mein Job war weg, und meine Mutter wĂŒrde mich in ihrer ĂŒblich nĂŒchternen Art willkommen heiĂen, ĂŒberaus besorgt, was ich nach diesem langen Urlaub denn nun „anzufangen“ gedenke. Mein alter Grazer Freund war inzwischen auch Geschichte, und die Sehnsucht hatte sich in weitem Bogen sĂŒdwĂ€rts verlagert. Nein, ich freute mich nicht wirklich auf daheim.
© Anatolie 2022-03-07