Kreuz und Quer und Rundumadum

Sabrina Farkas

von Sabrina Farkas

Story

Man kennt diesen Blick. Wenn jemand ein Geschenk öffnet und fast unmerklich die Stirn runzelt. Dann seinen besten Versuch unternimmt, ein freudiges Lächeln aufzusetzen. Und dann noch etwas Nettes, Dankbares sagen. Das… ist aber lieb von dir. Oder: Das ist ja… schön. Der Beschenkte hofft, dass der Schenker nichts von seiner Irritation merkt. Der Schenker hofft, dass der Beschenkte nicht merkt, dass ihm dessen Irritation sehr wohl aufgefallen ist.

Meine Mama zu beschenken ist gar nicht so leicht. Sie sammelt nicht gerne Zeug. Im Gegenteil, Dinge aussortieren, das liegt ihr viel mehr. Was sie sammelt, sind schöne Momente, bleibende Eindrücke, wertvolle Erinnerungen. Darum mag sie auch keine Überraschungen. Dass sie jemand mit einem materiellen Geschenk überrascht, das ihr tatsächlich eine Freude bedeutet, dafür liegt ihr die Chance zu gering. Viel größer ist die Gefahr, einen Gegenstand zu bekommen, der anstelle eines Mehrwerts nur Ballast darstellt. Der Einfachheit halber gibt sie mir deshalb rechtzeitig vor Weihnachten und ihrem Geburtstag meist den ein oder anderen Tipp, womit ich ihr eine Freude bereiten kann.

Es war kurz vor Weihnachten 2014, als eine Freundin mir ein Buch lieh: „Vom Hinterhof in den Himmel“ von Christina Rademacher – eine Sammlung von Spaziergängen durch Wien abseits der ausgetretenen Pfade. Weil ich doch so gerne durch unsere Stadt spaziere. In versteckte Innenhöfe luge, neue Ecken entdecke, den Kopf in die Luft recke, um bisher unbekannte Gebäude meiner Heimatstadt zu bewundern. Von wem ich das habe? Natürlich von meiner Mama, der Momente-Sammlerin.

Also kaufte ich das Buch und überraschte sie damit zu Weihnachten. Beim Auspacken das höfliche Gesicht. Ein Buch, hm, ja, also, danke. In ihren Augen konnte ich förmlich die Fragezeichen sehen: Ich wusste doch, dass sie eine Jahreskarte in der Bücherei hatte, wozu dann dieses Buch als Besitz? Ihre Miene änderte sich, als sie die Seite mit der Widmung aufschlug, die ich für sie geschrieben hatte. Mein Vorschlag: Wir beide gehen jeden Monat einen Spaziergang ihrer Wahl gemeinsam – ganz ohne unsere Männer, die bei unseren Vierertreffen meist das Gespräch beherrschten. Nur wir beide, Mutter und Tochter, jeden Monat einen Weg.

Als sie den Sinn hinter dem Geschenk erkannte, strahlte sie vor Freude. Im Jänner 2015 legten wir los und entdeckten im Laufe des Jahres viele uns neue Winkel von Wien. Unterwegs unterhielten wir uns stundenlang über alles Mögliche. Als sich das Jahr dem Ende zuneigte ihre zögerliche Frage, ob ich vielleicht Lust hätte, das gemeinsame Spazieren ab und zu fortzuführen? Das hatte ich, nicht nur ab und zu, sondern weiterhin jeden Monat. Mama gehen die Ideen für neue Routen kreuz und quer durch Wien nie aus. 2018 zerlegten wir den „rundumadum“ Weg, der in über 120 Kilometern rund um Wien führt, in 12 Etappen. Nur 2020 pausierten wir für ein paar Monate. Aber 2021 geht es weiter!

Mein Tipp fĂĽr Weihnachten: Schenkt Momente, nicht Dinge!

© Sabrina Farkas 2020-12-05

Hashtags