von Ulla Burges
âKeinesfalls lege ich mich unters Messer.â Hermann schĂŒttelte energisch den Kopf. âKeine zehn Pferde kriegen mich dahin.â
Ich zuckte die Schultern. âDann eben nicht. Dann musste du weiter leiden.â Er sprach von Schlachtbank, Massakrierung, den Göttern in WeiĂ. Ich wusste, wie schwer es ihm fiel, die Kontrolle ĂŒber sein Leben fremden Menschen zu ĂŒbergeben. Er traut niemandem. Seine Angst, aus der Narkose nicht wieder aufzuwachen â wir hatten das mehrmals gedanklich bis zum Ende durchgespielt: Was wĂ€re, wenn es, entgegen allen Erwartungen, tatsĂ€chlich so kĂ€me und er nicht wieder aufwachte. Hermann blieb standhaft: keine Operation, niemals.
Ich sah seine Knie, seine so krummen, grandios O-förmigen Beine, seinen gequĂ€lten Gang, sein schmerzhaft verkniffenes Gesicht bei jedem Schritt. Fahrradfahren ging noch. âGlotz nicht so mitleidigâ, fuhr er mich an, ich zahle eben jetzt den Preis fĂŒr meinen schönen HallenfuĂball frĂŒher, ĂŒber zwanzig Jahre â war toll. Jetzt muss ich eben blechen.“
DafĂŒr nun die restlichen dreiĂig Jahre bĂŒĂen mĂŒssen, Tag fĂŒr Tag â wer verlange das von ihm, fragte ich ihn. Und dann wurde ich brutal: âIch an deiner Stelle wĂ€re dann doch lieber tot als derart gefangen in QuĂ€lerei.â âGeht nichtâ, erklĂ€rte er sachlich, er mĂŒsse noch so viel zeichnen, habe noch so viele Ideen im Kopf. Herman ist ein genialer Karikaturist. Einleuchtend. Schmerzfrei wĂŒrde er aber noch viel bessere Ideen entwickeln können, mit Knieprothesen. âBeim Zeichnen sitze ich, und wenn ich sitze, tutâs nicht weh.â Er starrte böse auf seinen Zeichentisch. âWird nicht mehr lange dauernâ, sagte ich, âdann tutâs auch beim Sitzen weh.â Vielleicht brauche er seine Schmerzen fĂŒr seine schwarzhumorigen Zeichnungen, fĂŒr seine ĂŒberbordende ProduktivitĂ€t. âJe gröĂer der Schmerz, desto bitterböser deine EinfĂ€lle.â Sein Blick hĂ€tte mich gern getötet.
Etwas unsachlich fuhr ich ungerĂŒhrt fort: âIrgendwann werden dir die Beine oberhalb der Knie amputiert werden mĂŒssen. Aber der Tod wird an deinem kniebedingten Ableben eher weniger interessiert sein.â Hermann schwieg. Ich war eine von vielen, die auf ihn einredete.
Ich hörte lĂ€nger nichts von ihm. Irgendwann rief er an, er habe ein neues Knie. Ich beglĂŒckwĂŒnschte ihn, auch dazu, dass er noch lebte. âNa ja, GlĂŒck gehabt.“ Zufrieden war er keineswegs. âSchlimmer als vorher!â Das operierte Bein war nun gerade, folglich lĂ€nger als das andere, folglich Fehlbelastung und noch mehr Schmerzen. Er nahm mir ĂŒbel, dass ich lachte. âNee, nee!â rief er und lachte bitter auf, âich weiĂ genau, worauf du hinaus willst, aber das kommt nicht in die TĂŒte! Ein zweites Mal lasse ich mich nicht beschwatzen, von keinem!â
© Ulla Burges 2021-02-28