Kursplitter

Margit Schinerl

von Margit Schinerl

Story
Salzburg 2023

„Ab dem 30. Lebensjahr baut der Körper Muskeln ab“. Dieser Satz des für alle Kur- und Rehagäste verpflichtenden Vortrages sitzt. Sickern lassen und – versickert ist er. Vorerst. Mein Bild von – meist jungen, gut aussehenden – muskelgestählten Fitnessenden muss ich überdenken, und mein Vorurteil womöglich revidieren. Da gibt es vielleicht Menschen, die nicht nur aus ästhetischen Gründen für neue Muskeln schwitzen. Und zahlen! Und doch, es ist unglaublich, wie gut man sich fühlt, wenn man etwas „für den Körper getan“ hat. Neue Erfahrungen mit Laufband, Rudergerät und den Kraftgeräten für Abduktoren und Adduktoren achen zudem noch Spaß! Nun wär es auch an der Zeit, etwas für den Geist ….

Warum ist der zentrale Platz der Gesundheitseinrichtung die Raucherlounge? Sogar einen überdachten Pavillon gibt es, damit bei jeder Wetterlage dem Genuss gefrönt werden kann. Es gibt übrigens auch einen Vortrag über Raucherentwöhnung. Kur- und Rehagäste befinden sich versicherungstechnisch im Krankenstand. Diese Tatsache lässt mich etwas verwirrt mit der Beobachtung einiger sehr sportlich wirkenden Gäste zurück, die offenbar nicht das erste Mal sich einem Heilverfahren unterziehen. In sportlichen Outfits und mit den mitgebrachten eigenen Fahrrädern werden Rad- und Wandertouren vereinbart und lokale Lokaltipps ausgetauscht, als sei man hier auf einem Wellness-Urlaub. Einem bezahlten noch dazu.

Eine Tischgesellschaft. Mit wildfremden Menschen muss ich die nächsten drei Wochen meine Mahlzeiten einnehmen. Ein gruppendynamischer Prozess beginnt, es geht jedem von uns ähnlich. In einem Ernährungsvortrag hören wir unter anderem, dass man im besten Fall an fünf hintereinander folgenden Tagen dem Alkohol entsagen sollte. Die zwei angrenzenden Lokale sind an den Abenden stets gut besucht. Von den Gästen der Kuranstalt. Freilich gäbe auch andere Freizeitvergnügen, lesen vielleicht. Im „Salon“ gibt es ein kleines Bücherregal mit einer beschränkten Auswahl an guten Büchern, vielleicht ist das der Grund für die anderweitigen Freizeitbetätigungen?? Ich jedenfalls habe in wenigen Tagen die 460 Seiten des „Gesangs der Flusskrebse“ geschafft. Ein wunderschönes Buch.

Gewöhnungsbedürftig ist für mich das automatische Duzen von allen Menschen, denen ich begegne. Egal ob innerhalb des Kurareals, alle 10 Meter „Guten Morgen“, „Hallo“ oder „Mahlzeit“ ist ja noch allgemein gehalten. Ein kollektives „Griass eich“ oder „Griass di“ lässt mich nach anfänglichem Zögern nachdenken, ob ich zu älteren Leuten nicht eher „Grüß Gott“ hätte sagen sollen.



© Margit Schinerl 2023-07-23

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