Wir, Mädchen, fanden uns oft am See an einer versteckten Stelle ein. Besaßen damals keine Badeanzüge, trugen nur Höschen und manchmal waren wir nackt. Das jüngste Mädchen war drei Jahre, die Älteren zwischen sieben und neun. Wir passten gegenseitig auf die Jüngeren auf. Erwachsene kamen selten, sie mussten auf den Feldern arbeiten. Normalerweise badeten wir dort, wo keine Gefahr bestand und die Grenze am Schilf war. Der See war nicht sehr groß, jedoch tief. Er streckte sich hin bis zum Wald. Es roch nach Fisch, Schilf und Gras. Manchmal hüpften Fische hoch, dabei bildeten sich Kreise im Wasser. Libellen und Wasserläufer flogen um unsere Köpfe. Bremsen, eine Art Stechfliegen, stachen und manchmal steckten Blutegel am Rücken, an den Armen bei meiner Schwester hinterm Ohr. Sie ließen sich herausziehen. Kühe lagen im Gras und ruhten. Oftmals stand eine Kuh im See und trank. Ohne Rücksicht auf uns hob sie ihren Schwanz und schon plätscherte ein Strahl ins Wasser. Manchmal folgte noch »Grüner Spinat« aus ihrem Hinterteil. Mehrfach sind wir schon aus Versehen auf der Wiese barfuß in solche grüne, warme Kuhfladen hineingetreten, dass es nur zwischen den Zehen patschte. Mit saurer Miene wuschen wir ganz schnell unsere Füße ab. Gustav, ein alter Fischer mit runzliger Haut und freundlichem Blick, fuhr öfter mit einem Kahn aus Holz über den See und winkte uns zu. Er holte die Reusen ein, entnahm die gefangenen Fische und packte sie in mit Seewasser gefüllte Holzbottiche. Später würden Leute zu ihm kommen und die Fische kaufen. Es gab Aale, Karpfen, Rotbarsche und Plötze. Über dem See wehte der Geruch seiner Zigarre. Wir besaßen einen aufgeblasenen Schlauch vom Reifen eines Lastkraftwagens. Der Schlauch war groß, sodass mehrere Kinder sich dranhingen und draufsetzten. Bald sah und hörte man uns laut lachen, springen und plätschern.
Dann geschah es. Wir hatten nicht bemerkt, dass wir uns vom Ufer entfernt hatten. Der See war nur vorne flach und es ging steil in die Tiefe. Die dreijährige Simone war heruntergerutscht und untergegangen. Keiner von uns konnte schwimmen. Verzweifelt packte ich das Mädchen am Kopf und schob es mit voller Kraft ans Ufer. Alle schrien aufgeregt, griffen zu. Große Erleichterung, dass sie gerettet wurde. Mit einem Arm hing ich am Schwimmschlauch, rutschte und ging unter. Wasser drang in Mund und Nase. Wild schlug ich um mich, hustete Wasser aus mir heraus: Besann mich, paddelte wie ein Hund und machte vor lauter Todesangst Frosch ähnliche Schwimmbewegungen. Merkte dabei, dass ich nun schwimmen konnte. Vor Freude schwamm ich gleich ans nächste Ufer, welches unweit entfernt war, ruhte mich aus und schwamm nach einer Weile wieder zurück. Monate später besuchte ich ein Schwimmlager, welches sich in einer anderen Stadt befand. Wir machten gemeinsam Frühsport, schliefen auf Luftmatratzen. Pro Tag kostete der Aufenthalt dort nur eine DDR-Mark und war subventioniert. Hier erwarb ich den Freischwimmausweis.
© Elisabeth-Christine Kayser 2020-11-19